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Ein Essay 2/2

Warum war die DDR intelligenzfeindlich? Erstens hatten die Spitzengenossen alle keine akademische Ausbildung. Dafür hatten sie in ihrer Jugend keine Gelegenheit, später keine Zeit. Später hielten sie sich die 'Wissenschaftler', die die herrschende Ideologie 'wissenschaftlich' untermauerten. Jürgen Kuczynski - mein Spezialfreund - ist das exemplarische Beispiel dafür. Er könnte der Stammvater aller 'Gesellschaftswissenschaftler' sein. Die führenden Genossen waren gegenüber Intellektuellen immer mißtrauisch. Mit Recht. Denn von dieser Seite her drohte die größte Gefahr für die Ideologie: Über Ideologie darf man genau so wenig nachdenken wie über Religion. Der Glaube an die Sache und der feste Klassenstandpunkt, das ist das entscheidende. Das Dilemma des Sozialismus aber war, daß er besonders stolz auf seine wissenschaftliche Fundierung war. Der Dialektische Materialismus von Hegel (nicht der Historische von Marx) könnte auch wirklich eine staatstragende Philosophie sein. Aber für die DDR waren die Leute, die beim dialektischen Denken zu anderen Schlüssen kamen, als die Ideologen, 'gefährlich intelligent' ! (Der FDJ-Sekretär Udo Dietze hat mir das als Student vorgeworfen ...!)

Die Beliebigkeit von Kunst und Kultur ist bei den 'Intellektuellen' kein wesentliches Thema. Damit würden sie ja auch am eigenen Ast sägen. Mir ist dieses Problem 1992 im Zusammenhang mit MTV aufgefallen. Was weiss man schon in fünf Jahren noch von dieser 'Musik' und den Videos? Aus meiner Sicht werden hier extrem kurzlebige, aber profitable Produkte auf den Markt geworfen. Ihre Perspektive ist so klar wie die der Zeitungen: Müll. Gerade an einer Kunsthochschule sieht man, wie groß der Unterschied zwischen Sozialismus und Pluralismus ist. Das Wort 'Beliebigkeit' bezeichnet auch sehr genau, um was es geht: Es ist egal, was Du machst, Hauptsache ist, es ist neu und auffällig. Bei dieser Verkürzung sieht man auch, welche Wurzeln die Beliebigkeit hat: Sie fußt in der Marktwirtschaft: Nur der, der eine Marktlücke findet oder eine Nische besetzt, kann auch existieren, denn er kann etwas verkaufen. Deswegen geht es auch nicht nur um die Beliebigkeit von Kunst, sondern um Beliebigkeit von Kunst und Kultur. Und Kultur ist fast alles. Dazu gehören Funk und Fernsehen, die Printmedien, die Bildungspolitik bis hin zum Umgang der Menschen miteinander, öffentlich und privat. Und wenn es jetzt auf dem Bau und in der Rotlichtszene wieder Sklavenarbeit und Sklavenhandel gibt, auch das kennzeichnet die Beliebigkeit gegenwärtiger AIItagskultur: Pluralismus über alles. Was nützen uns Ethos, Moral Gewissen und Selbstlosigkeit? Es zählt nur der Mehrwert.

Im Gegensatz dazu müssen Gesellschaftsordnungen, die sich die Realisierung einer Vision auf ihre Fahnen geschrieben haben, antidemokratisch, diktatorisch und zentralistisch sein.

 

Anders läßt sich eine wie auch immer geartete Ideologie nicht bis ins letzte Dorf, bis zum letzten Dorftrottel durchsetzen. Auch das ist keine neue hypothetische Erkenntnis, die Ägypter, Chinesen, Juden, die katholische Kirche, islamische Gottesstaaten, Kaiser und Könige, der Nationalsozialismus und der 'real existierende Sozialismus' haben es in der Geschichte der menschlichen Zivilisation wie auf einer Experimentierbühne vorgeführt. Kunst und Kultur waren dabei immer eingebunden und gleichgeschaltet!

'Gleichgeschaltet' ist das richtige Gegenwort zu 'Beliebigkeit'. In autoritären Systemen führt die Gleichschaltung zu ganz klaren Konturen in Kunst und Kultur. Es existiert eine eindeutige Richtung, ein Fadenkreuz, ein Ziel. Der Staatsbürger ist von Gesetzen, Riten und Tabus umzingelt. Der Künstler weiß in vorauseilendem Gehorsam, was man von ihm erwartet. Er hat die Ideologie zu glorifizieren. Wenn die Ideologie so stabil ist, daß sie Jahrhunderte überlebt, werden die Kunstwerke dieser Epoche zu Klassikern. Bei Klassikern gerät man leicht in Gefahr, diese Kunst als etwas absolut Gültiges, das 'Schöne an sich' anzusehen. So zum Beispiel die Barockmusik, gotische Bauwerke oder die Kunst der Medici. Dabei waren auch sie 'nur' Mittel zur Verherrlichung des Christentums, eine von vielen Utopien. In solchen Gesellschaftssystemen hat es der Künstler aber wesentlich leichter. Er hat Vorgaben, weiß, was 'richtig' und 'schön' ist, besitzt ein philosophisches Fundament und einen reichen Auftraggeber.

Alles das ist jetzt durch den Pluralismus relativiert. Ich bedaure die Studenten, die in dieser Gesellschaft Künstler oder Designer werden wollen. Sie haben keine Meßlatte und sind bei Strafe ihres wirtschaftlichen Unterganges gezwungen, sich eine lebenslange Macke oder einen zahlungskräftigen Mäzen zuzulegen, dessen Lob sie möglichst lebenslang singen. Im Zeughaus wurde gestern die dazu passende Ausstellung (mit Sicht auf die DDR) eröffnet: AUFTRAG: KUNST

Das hört sich so an, als ob ich den diktatorischen Zeiten hinterher trauere, weil in ihnen Klarheit und Eindeutigkeit herrschte, immer und in jedem Fall eine Bezugsbasis existierte. Weit gefehlt. Wenn ich die Wahl hätte, würde ich immer den Pluralismus wählen. Weil er weitestgehend den fundamentalen menschlichen Bedürfnissen entgegen kommt: Keine Gesetze, keine Riten und keine Tabus!

Es bleibt nur eine spannende Frage: Hält diese Erde den Pluralismus aus??

Jürgen Albrecht, 29. Januar 1995

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