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Wie wird das Wetter ?


Ach, habe ich gut geschlafen! Ich stehe auf, die Sonne scheint. Frühstück. Dann überlege ich: Fahre ich jetzt eine Runde mit dem Fahrrad, oder erst am Nachmittag. Wie wird das Wetter?

Den Wetterbericht im Radio habe ich verpaßt. Soll ich den Fernseher anmachen, über Videotext bekommt man den Wetterbericht. Ach, denke ich, zu kompliziert, es gibt doch Telefondienste. War das Wetter nicht unter 163 zu erfahren? Lange habe ich nicht mehr angerufen. Also Telefonbuch. Es gibt drei dicke Bücher (und noch zwei nicht weniger dicke mit den Gelben Seiten). Nur in dem jeweils ersten Buch gibt es gleich vorne: Die Telefonansagen. Aber es gibt kein Wetter. Kultur gibt es und Lotto, Nachrichten, Tips und Reiseinformationen, Datex J Dienst, Mobilfunk und Verbindungen zu Schiffen. Wetter gibt es nicht. Doch! Unter Tips steht eine Nummer: 01154 Witterungshinweise für die Landwirtschaft / Pflanzenschutz.

Dort rufe ich an und werde aufgeklärt, daß es nicht einfach Wetter gibt, sondern eine riesige Palette von Serviceleistungen der Telekom Medien GmbH: Informieren Sie sich unter 0130808190. Dort rufe ich an. Als erstes werde ich mit Vogelgezwitscher davon informiert, daß dieser Anruf gebührenfrei ist. Na, wie schön. Dann erfahre ich, wie vielfältig man mit Wetter Geld verdienen kann: Allgemeines Wetter, Wetterlage, Citywetter, Ferien- und Freizeitwetter, Winterwetter, Bio- und Agrarwetter, Seewetter, Straßenzustand und Zugwetter. Wer will mehr?? Und was ist Zugwetter?

Heute interessiert mit Citywetter. Ich habe es tatsächlich geschafft, die Rufnummer mitzuschreiben: 0190116432. Fairer Weise wird mir zuerst gesagt, daß das ein (unvergleichlicher) Service der Telekom Medien GmbH ist, bei dem 12 Sekunden 23 Pfennige kosten. Damit es sich für die GmbH auch lohnt, wird jetzt erst noch mal Reklame für den gesamten Telefonservice 0190 gemacht.

 

Dann, 20 Sekunden sind bestimmt vorbei, dann endlich kommt der Wetterbericht für Berlin: Sonne, Wolken, weitgehend trocken bei 8 bis 13 Grad. 50 Pfennige für diese Information. Trotzdem DANKE.

Weil es mich interessiert, rufe ich am Nachmittag - inzwischen habe ich eine sehr schöne Radtour durch die Rehberge gemacht - noch mal die kostenlose Nummer an. Ich sage nicht JA, wo es um Wetter geht, sondern will mehr über den Telekom-Service wissen. Und was erfahre ich von der überaus freundlichen GmbH aus Frankfurt/M? "Wenn Sie Fragen haben, schreiben Sie uns, wir helfen Ihnen weiter!" Wie schön, daß wir eine Post haben, die auch noch was verdienen kann.

Ist das die Zukunft in der digitalen Welt der neuen Medien? Ich bin mir sicher, das ist sie nicht. Auch wenn die Telekom hier schon rudimentär die Spracherkennung einsetzt (JA oder Mund halten), es ist haarsträubend, eine GmbH zu gründen und einen Service zu organisieren, nur um die Telefonnummer für einen bestimmten Ansagedienst zu verraten. Warum werden diese Nummern, auch wenn es zehn verschiedene sind, nicht ganz einfach in das sowieso 4500 Seiten starke Telefonbuch geschrieben? Das hat sich doch fast 100 Jahre bewährt.

Warum nicht? Ganz einfach: Dann wäre der Anruf ein Ortsgespräch und am Sonntag kosten dort 12 Minuten 23 Pfennige. Das wäre 60 mal billiger (in Worten: sechzig mal) !! Der Kunde wäre damit zwar ordentlich bedient, aber nicht abkassiert. Warum soll man ihn nicht abzocken, wenn er so ein unstillbares Interesse am Wetter zeigt. Wo er doch fast nicht merkt, wie er betrogen wird?

Was ist eigentlich der Unterschied zwischen Telefonsex und dem Wetterdienst? Der Preis ist noch etwas höher.

Jürgen Albrecht, 09. Oktober 1994

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