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Das Recht des Stärkeren


Im konkreten Fall geht es um den Bürgerkrieg im ehemaligen Yugoslawien. Allgemein aber um die Rolle der UNO, der Vereinten Nationen. Aus der Existenz der UNO kann man leider nicht schlußfolgern, daß es die Institution gibt, in der sich die Nationen zur Meta-Nation vereinigt haben. Die Hoffnung darauf wurde mit der Gründung des Völkerbundes im Jahr 1919 institutionalisiert. Der Völkerbund ging 1945 in die UNO über. Aber bis heute existiert damit nur eine Organisation, die sich darum bemüht, die Funktion einer Meta-Nation wahrzunehmen.

Beim Kampf der "zwei Lager" in der Zeit des Kalten Krieges kulminierte das friedfertige Bemühen der UNO im Bestreben, weltweit einheitliche "Menschenrechte" durchzusetzen. Ost und West sollten anerkennen, daß alle Menschen, unabhängig unter welchem Herrschaftssystem sie leben, gleiche Grundrechte besitzen. Natürlich war schon das Illusion. Denn welches System verzichtet auf Macht und Einfluß aus moralischen Gründen?

Nach dem Zusammenbruch des Sozialismus stellen sich andere Fragen: Was tut die "Völkergemeinschaft", wenn in Georgien, Burundi oder in Goradzde Menschen aus religiösen oder ideologischen Gründen (eigentlich gibt es da keinen Unterschied) auf steinzeitliche Weise abge- schlachtet werden?? Hier geht es nicht mehr um irgendwelche abstrakten Werte, hier geht es um die nackte Existenz.

Am Fall Goradzde ist exemplarisch zu beobachten, wie schnell jeder friedfertige Einfluß von außen auf ein beliebiges Machtsystem an seine Grenzen kommt: Die Serben führen gegen ihre Nachbarn Krieg mit dem Ziel, Landgewinn für ein Groß-Serbien. Dabei belagern sie fünf oder sechs Städte, in denen vorwiegend Moslems - ihre Feinde - leben. Sie haben jede Menge Waffen (woher ?!) - Vom Gewehr bis zum Bombenflugzeug. Sie dominieren die Szene, sie haben die Macht, sie sind die Stärkeren. Aber das, was sie tun, ist in den Augen aller anderen Nationen ungerecht, unmenschlich, Völkermord.

Seit Beginn dieses Bürgerkrieges vor zwei Jahren bemüht sich die "zivilisierte Welt' den Bürgerkrieg auf diplomatischem Wege zu beenden (alles Heuchelei und Lüge, im Kriesenfall würde jedes Regime ähnlich handeln !). Die Zahl der vereinbarten Waffenstillstände kann keiner mehr zählen, jeden zweiten Tag einer, alle wurden gebrochen. Das Fernsehen ist immer dabei (aber in 10 Jahren weiß niemand mehr etwas davon).

Das ist das eigentliche Problem. Wenn die Menschen nicht sehen, was z.B. täglich in Israel und Bangladesh passiert, dann existiert das auch nicht in ihren Köpfen. Jetzt aber sieht man beim Abendbrot, wie auf dem Marktplatz einer Stadt in Bosnien eine Granate einschlägt und dreißig Menschen in ihrem Blut liegen. So schnell kann man den Fernseher nicht abschalten und auch nicht sein Gehirn. Und sofort "spürt" man, das ist doch nicht der Normalfall. Das geht nicht, das macht man nicht, das darf man doch nicht. Der, der so etwas macht, der muß gestoppt und bestraft werden.

Seltsam ist, daß die Menschen offensichtlich sogar eine solche Bremse in ihren Genen haben ... die Tiere haben sie ja in der Regel auch gegenüber ihren Artgenossen. Aber diese Bremse funktioniert nur bei ruhiger Gemütslage. Das Gefühl der Entrüstung (wörtlich!) aber ist schon alles. Ekel, Abscheu, Aufregung, Protest,... das ist das Maximum. Konkret etwas ändern kann niemand. Wie bei den Tieren bleibt nur ein Weg: Verdrängen, wegdenken, ignorieren.

 

Die NATO hat jetzt angedroht, serbische Stellungen zu bombardieren. Die UNO soll und will im Verbund mit der NATO militärisch eingreifen. Das heißt zugespitzt, Stefan wird eingezogen, bewaffnet und nach Gorazde geschickt und soll dort im Verein mit Russen und Amerikanern mit militärischer Gewalt für "Gerechtigkeit" sorgen. Das geht, aber nur im Prinzip. Nur, wenn die UNO dort für die nächsten 1000 Jahre als Supermacht die fiktiven Menschenrechte (mit Gewalt) hoch hält. Und was wird nach 1000 Jahren? Und warum mischt sich die UNO nicht an allen Konfliktherden dieser Welt ein? In Burundi, im Iran, in Palästina, in Kambodsha und an fünfzig anderen Orten dieser Welt?? Konsequenz heißt in dieser Sache: Überall, wo nicht solche friedliche Verhältnisse herrschen, wie in Berlin, Toronto oder Paris, übernimmt ein UNO-Meta-Guru mit militärischen Mitteln die Macht.

Illusion, oder ?? Für mich ist das blanke Illusion. Und ich kann mir auch nicht vorstellen, daß irgendein Politiker glaubt, auf diese Weise die Welt verändern zu können. Alles was geschieht, ist Kosmetik. Niemand will Klartext reden, das schlechte Gewissen, das ungute Gefühl muss beruhigt werden. Man will sich selbst und anderen das illusionäre Erfolgserlebnis lassen, das Problem bewältigt zu haben: Deshalb startet die UNO an ausgewählten Konfliktherden 'humanitäre Aktionen' und redet sich ein: Es ist nur eine Frage der Zeit, dann ist der Konflikt beseitigt. Jeder weiss, dass es nicht so ist.

Diese Situation wird sich erst mit dem berühmten "Neuen Menschen" grundlegend ändern. Solange die gegenwärtig auf der Erde lebende Sorte von Menschen existiert, kann man eigentlich nur eines tun: Mindestens drei Schritte zurücktreten, ausreichenden Sicherheitsabstand beachten und warten, bis das Schlachten vorbei ist und sich neue Machtverhältnisse eingepegelt haben. Dann kann man beim Verbinden der Wunden helfen, die Häuser und die Infrastruktur wieder aufbauen, soweit die neuen Machthaber das zulassen. Der nächsten Krieg kommt bestimmt, das nächste Schlachten ist unvermeidlich.

Das ist zutiefst deprimierend. Aber die Ursache für dieses menschliche Verhalten liegt in dem einfachen Prinzip, das Grundlage des Handelns aller Menschen dieser Erde ist:
Das Recht des Stärkeren
Gewalt ist die Grundlage des Verhaltens von Tier und Mensch. Nur der Mensch kaschiert diese Tatsache mit Moral und Religion.

Das Gewaltprinzip hat sich bei der Evolution des Lebens in Jahrmillionen bewährt. Deshalb gilt es auch in der menschlichen Gesellschaft und niemand wird es in absehbarer Zeit aus der Welt schaffen.

Alle kennen dieses Prinzip, weil jeder sein ganzes Leben lang die Wirkung am eigenen Leibe spürt. Jeder weiß, daß Macht, Gewalt, Waffen und Emotionen diese Welt regieren und daß Verstand und Vernunft dabei keine Rolle spielen. Weder in der Gesellschaft, noch in der Innen- oder der Aussenpolitik. Aber niemand wagt es, diese Tatsachen deutlich und öffentlich auszusprechen und daraus die Konsequenzen zu ziehen!

Sie wären verheerend und es ist sehr fraglich, ob damit eine bessere Welt entstehen würde. Die drei Affen scheinen das heute erreichbare Optimum der menschlichen Gesellschaft zu symbolisieren. Augen zu, Ohren zu, Mund zu ... und durch.

Jürgen Albrecht, 24. April 1994

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