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Honeckers Gedanken


Erich Honecker ist vor ca. 14 Tagen gestorben. Es hat keinen gerührt und kaum noch jemanden interessiert. Fünf Jahre sind für das menschliche Gedächtnis eine sehr lange Zeit. Bis Oktober 1989 war Honecker der mächtigste Mann der DDR. Staatschef und Generalsekretär der SED. Als er im Gefängnis saß, hat er seine Gedanken über den Zusammenbruch der DDR aufgeschrieben. Jetzt kommen sie als Buch heraus und eine Illustrierte hat den Extrakt als Vorabdruck herausgebracht (Super Illu 19/1994).

Mir fallen zwei Dinge auf: In seinen Gedanken gibt es Einsichten, die ich Honecker nicht zugetraut hätte. So sieht er jetzt ein, daß das totale Reiseverbot gefährlich war. Auch die Tatsache, daß die DDR-Führung jede Art von Reform abgelehnt hat, erkennt er im Nachhinein als schweren Fehler. Soviel Einsicht macht mich mißtrauisch. Ich kann mir gut vorstellen, daß seine Frau, die seine handschriftlichen Aufzeichnungen in Chile abschrieb, sie dabei auch redigiert hat. Margot halte ich für intelligenter, realistischer, weniger illusionär aber mindestens so machtbesessen wie Erich.

Am erstaunlichsten aber ist seine Verschwörungstheorie. Krenz mit "seiner" FDJ haben im Verein mit Gorbatschow den konterrevolutionären Putsch angezettelt und Honeckers Sturz von langer Hand vorbereitet. Das ist in mehrerer Hinsicht verblüffend: Die Konterrevolution war neben den äußeren Feinden schon seit der russischen Oktoberrevolution die größte Gefahr für die Kommunisten. Natürlich muß das jetzt eine Konterrevolution gewesen sein! Was sonst?!

Aber er überschätzt die Rolle einzelner Menschen, obwohl der von Marx erfundene historische Materialismus lehrt, daß die Rolle der Persönlichkeit in der Geschichte von untergeordneter Bedeutung ist. Die Entwicklungsgesetze sind alles und sie arbeiten (fast automatisch) für die bessere Gesellschaftsordnung, den Sozialismus. Und Erich zog auch nicht in Betracht, daß es in der von den Kommunisten bis ans Ende propagierten 'wissenschaftlichen Weltanschauung' auch einen Umschlag von Quantität in Qualität gibt.

 

Das Grundgesetz der Bewegung der Materie, die Negation der Negationen, das Gesetz der Einheit und des Kampfes der Gegensätze, die Widersprüche als Triebkräfte der Entwicklung ... Hätten die 'guten Genossen' das begriffen, was in den Büchern über den dialektischen Materialismus (von Hegel) stand und hätte man die tägliche Politik darauf ausgerichtet, von Anfang an wäre ein anderes und besseres System aufgebaut worden.

Der Begriff von der 'wissenschaftlichen Weltanschauung' war mir immer ein Greuel. Nicht, weil es sie nicht gab. Den Dialektischen Materialismus kann man durchaus so bezeichnen. Aber die Genossen haben diese Wissenschaft nie begriffen. Und das war eine ihrer größten Fehlleistungen, die direkt zum 9. November 1989 führte.

An der Spitze der 'führenden Genossen' stand fast bis zum Ende Erich, der außer der Grundschule nichts für die Ausbildung seines Verstandes getan hat. Nicht einmal die Dachdeckerlehre hat er abgeschlossen, wie ich jetzt mitbekommen habe. Wie soll man da eines so einfachen Gedankens fähig sein, daß dieses System durch seine elementaren Fehler destabilisiert wurde? Ein Flügelschlag eines Schmetterlings im fernen Regenwald reicht dann zum richtigen Zeitpunkt aus, das Ganze zum Einsturz zu bringen.

Wenn Erich wenigstens die Konstruktionsfehler seines Experimentalsystems aufgelistet und sie in eine Rangordnung gebracht hätte! Kluge Überlegungen, was man beim nächsten Mal (aber ohne mich, bitte ...!) besser machen müßte, hätten ihm vielleicht einen ehrenhafteren Platz in der Geschichte beschert.

So simpel erklärt sich der einfachen Mann aus der Arbeiterklasse den Kollaps des globalen sozialistischen Lagers: Egon war's und Gorbi! Also auf ein Neues und Vorsicht vor diesen beiden, denn das sind Konterrevolutionäre!

Jürgen Albrecht, 16. Juni 1994

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