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Weniger Emotionen - Mehr Politik


Designer streiten sich mit ganz Deutschland um die Qualität des neuen Logos der Deutschen Bahn. ‚Zu viel Busenbogen' titelt DER SPIEGEL 13/1994. Der Stuttgarter Design-Professor Kurt Weidemann (71) sah es auf den ersten Blick: 28 Rundungen im 1952 gestylten Logo sind viel zu viel, Busenbogen, Hüftbogen, Schwangerschaftsbogen und dann noch die vielen runden Ecken ... Unmöglich !! Das neue Logo mit seinen zwei Busen, zwei Hintern und acht runden Ecken und der gleichen Farbe besitzt dagegen eine völlig neue Qualität. Bis zum nächsten Gefecht, das dann wieder die ganze Republik erschüttert.

Ein junges Ehepaar, beide gehörlos, ziehen in das Haus ein. Das Haus ist hellhörig. Sie sind laut - sie hören es ja nicht - sie haben viele Freunde und Bekannte, auch Gehörlose, die kommen sie besuchen und reden laut auf der Treppe. Nach ein paar Monaten beschweren sich einige Mieter ... nicht bei den jungen Leuten, sondern beim Vermieter. Der kleinkarierte Kleinkrieg beginnt.

Bayernland - Amigoland. Unter Franz Josef Strauß entwickelte sich Bayern vom Agrar- zum Industrieland. Wichtigstes Antriebsmittel sind persönliche Beziehungen, geschäftlicher Filz. Jetzt kommt eine damalige Aktion nach der anderen als Skandal ans Tageslicht. Invariant sind dabei immer persönliche Kungeleien, vorbei am Gesetz.

Kurden blockieren stundenlang eine Autobahn. Sie wollen darauf aufmerksam machen, daß sie kein Staatsgebiet im Dreieck Türkei, Iran, Irak besitzen und in diesen Ländern massiv unter Druck gesetzt werden. Die Polizei will die Blockade räumen, Kurden drohen mit geöffneten Benzinkanistern, sich anzuzünden. Sie zünden sich an, laufen als lebende Fackeln herum. Sie sind schwer verletzt, sie sterben.

In Rußland baut sich Schirinowski als neuer Hitler auf. Nach genau dem gleichen Muster und auch mit der Hetze gegen Juden. Jetzt stellt sich heraus, daß Schirinowski als Jude Edelstein geboren wurde und mit 18 Jahren den Antrag auf Namensänderung gestellt hat.

Ein israelischer Siedler erschießt mindestens 30 Moslems in ihrer Moschee bei Gebet. 40 Tage Trauer schreibt der Koran vor. Heute sind die 40 Tage vorbei.

 

Heute jagd sich ein moslemisches Kommando in einem sprengstoffgefüllten Auto neben einem Schulbus in die Luft. 20 tote Israelis, die meisten Kinder. 60 Verletzte, viele schwer.

Serben erobern die moslemische Stadt Gorazde, die die UNO vor vier Wochen zur UNO- Sicherheitszone erklärt hat. Im ehemaligen Yugoslawien herrscht Bürgerkrieg, Moslems gegen Serben, Serben gegen Kroaten, Kroaten gegen Moslems. Keiner versteht, worum es überhaupt geht. Alle privaten Menschen, alle Staaten, auch die UNO sehen zu, wie sich ganze Völker abschlachten und ehemals zivilisierte Dörfer und Städte zerschossen und zerbombt werden. Alles, was man begreift ist, daß sich die drei Volksgruppen schon seit ein paar tausend Jahren auf dem Balkan bekriegen. Warum? Weil jede Volksgruppe davon überzeugt ist, daß die anderen Idioten sind. Immer die anderen.

In Südafrika ist die Apartheid praktisch aufgehoben. In Kürze sollen die ersten freien Wahlen stattfinden, bei denen die Hautfarbe keine Rolle mehr spielt. Die größte Gefahr für die zukünftige Entwicklung sind nicht unbelehrbare Buren, die immer noch davon überzeugt sind, daß nur weiße Menschen auch Menschen sind. Das größte Problem ist, daß sich jetzt zwei Gruppen von Schwarzen militant bekämpfen (wöchentlich 100 Tote) die sich nicht darüber einigen können, welcher ihrer beiden Clans in Zukunft mehr Macht haben wird, als der andere.

Was ist diesen aus der aktuellen Wirklichkeit gegriffenen Schnipseln gemeinsam: Es regieren viel mehr die Emotionen, als der Verstand. Mehr noch: Der Verstand spielt beim Zusammenleben der Menschen eine untergeordnete Rolle. Weil das so ist, wird es solange ich leben, nicht den Staat geben, den ich mir vorstelle ...und danach auch nicht:

Ich bin für die Herrschaft der Intelligenz, für einen emotionslosen Staat. Emotionen haben in einem Staat nichts zu suchen. Emotionen sind privat. Und wenn ich es könnte, würde ich Emotionen nur in der Liebe und in der Ästhetik zulassen. Schon dadurch wäre jede Menge Streit und Konflikt vorprogrammiert. Trotzdem blieben diese Konflikte privat und würden nicht die Landes- grenzen überschreiten oder globale Ausmaße annehmen.

Jürgen Albrecht, 07. April 1994

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