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Dreiste Selbstbedienung an der Futterkrippe


Zuerst das Fazit: Alle moralischen Werte sind perdu, es geht nur noch um's Geld. Das ist Staatsdoktrin und sie schlägt auf alle Ebenen darunter durch. Staatsdoktrin ist es dadurch geworden, dass die Politiker es dem Volk vorführen, wie man sich skrupellos aus vorhandenen Kassen bedient.

Es häufen sich die Skandale dieser Art, seit es das vereinte Deutschland gibt. Eigentlich gibt es keinen direkten Zusammenhang, vielleicht ist es auch nur mein subjektiver Eindruck. Aber wie 'Der Westen' an der Wiedervereinigung auf Kosten der sowieso seit 40 Jahren bestraften DDR-Bürger verdient hat, das ist ein Schulbeispiel für Raffke & Co.

Der Gehaltsskandal in Sachsen- Anhalt, der dort eine Regierungskrise ausgelöst hat, ist am abebben. Gott sei Dank sind ja alle so sehr vergesslich. Aber der SPIEGEL 49/93 liefert eine hervorragende Aufstellung der Affären, die es in jüngster Vergangenheit in diesem Metier in Deutschland gegeben hat: Die Selbstbedienung ist keine Affäre, sie ist Methode. Jeder der endlich an der vollen Krippe steht, frißt soviel in sich hinein, wie es nur irgendwie geht. Jeder weiß, daß man nur kurz an dieser Krippe steht, der Kampf um die besten Futterplätze ist nur auf Zeit zu gewinnen.

Ist das strafbar? Natürlich ist vieles strafbar. ABER ... erstens ist der Nachweis wegen der hohen Komplexität sehr schwierig und zweitens gewinnt nicht der vor Gericht, der Recht hat, sondern der, der den besseren Rechtsanwalt bezahlt. Also der, der auch hier investieren kann.

Wie dumm sind doch die Ladendiebe dran. Der Tatbestand des Diebstahls von 4,65 DM für einen Lippenstift ist glasklar zu beweisen. Die Rechtslage ist eindeutig. Ein Rechtsanwalt für einen solchen Fall kostet wahrscheinlich das hundertfache des Streitwertes - wenn das reicht. Wie gehen deshalb Ladendiebstähle aus: Strafanzeige! Ein sehr schlechtes Verhältnis von Aufwand und Nutzen.

 

 

Man kann daraus nur den Schluß ziehen, je größer der Betrug und je intelligenter er gemacht wird, um so unwahrscheinlicher sind negative Folgen einschließlich Bestrafung. Die Westminister in Magdeburg waren nicht clever, nicht kreativ. Nur die zweite Wahl wird in den Osten geschickt. Sie agierten nicht viel geschickter, als kleine Ladendiebe. So eine dummdreister Betrug verdient nur Verachtung.

Zitate aus DER SPIEGEL, 49/1993, Seite 27 ff:
... Nach Aufdeckung der Raffke-Affäre (SPIEGEL 47 und 48/1993) war vergangene Woche das gesamte Kabinett zurückgetreten: Münch und seine Parteifreunde Hartmut Perschau (Innen) und Werner Schreiber (Soziales) sowie der freidemokratische Wirtschaftsminister Horst Rehberger sollen nach Berechnungen des Landesrechnungshofes insgesamt rund 900 000 Mark zuviel an Gehältern kassiert haben ...

... Bislang unveröffentlichte Dokumente belegen, daß Innenminister Perschau angab, als Euro-Parlamentarier habe er pro Monat 10 128 Mark an Diäten erhalten, in zwölf Monaten folglich rund 122 000 Mark. Die Rechnung kann nicht stimmen: Auf die 10 128 Mark hatte er nicht einen Monat lang Anrecht. Bis zum 31. Juni 1991 erhielten die Abgeordneten exakt 9664 Mark, erst danach mehr. Perschau wurde jedoch am 11. Juli 1991 zum Innenminister ernannt - ein Amt, das laut Gesetz unvereinbar mit einem Europamandat ist. Üblicherweise legt ein zum Minister berufener Parlamentarier sofort sein Mandat nieder. Doch Perschau wartete lieber, bis ihm der Ältestenrat des Bundestages mitteilte, er sei zum 5. September 1991 aus dem Europaparlament ausgeschieden. Für ihn war das ein gutes Geschäft. Zwei Monate lang kassierte er zusätzlich zum vollen Amtsgehalt des Ministers (damals 17 964 Mark) die Hälfte der Diäten - was ihn nicht hinderte, in Magdeburg seine Diäten mit monatlich 10 128 Mark auszuweisen.

Ex-Ministerpräsident Münch vollführte ähnliche Rechenkunststücke. Der Christdemokrat, der schon im November 1990 nach Sachsen-Anhalt wechselte, präsentierte als angebliches Alteinkommen Beträge aus dem Jahre 1992. Natürlich lagen diese Diäten, Tagegelder und Aufwandsentschädigungen höher als zwei Jahre zuvor. Münch, so stellt sich nun heraus, hat die angegebenen Bezüge 1992 in Wahrheit nie erhalten. "Zurückzahlen", tönt er gleichwohl, wolle er "nichts" ...

Jürgen Albrecht, 09. Dezember 1993

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