Im Frühjahr 1989 hat die SED die Aktion 'Umtausch der Parteidokumente' angeordnet, der eine Parteiaussprache vorangeht. Die SED-Mitglieder werden einzeln zu einer Aussprache zum Parteisekretär geladen. Man will den Parteigenossen Gelegenheit geben, Dampf abzulassen und dabei die Stimmung an der Basis erkunden.

Ich habe mich gründlich vorbereitet. Mein Positionspapier stellt eine Fundamentalkritik der DDR-Politik dar. Bei der Aussprache am 11. Oktober 1989 erläuterte ich es dem Parteisekretär und übergebe ihm zum Schluss eine Kopie davon. Seine Reaktion: 'Was soll ich dazu sagen ...?! Ich werde Dein Papier an die Bezirksleitung der SED weiterleiten.' Auch der Parteisekretär weiss: Die vielen unzufriedenen Parteimitglieder warten vergeblich auf strategische Entscheidungen ihrer 'führenden Genossen'. Das senile, ideologisch bornierte ZK der SED ist zwar noch an der Macht, aber längst schon von der Realität überholt worden. Die Partei ist am Ende. Vier Wochen später fällt die Berliner Mauer.

Erst jetzt sind mir diese Unterlagen wieder in die Hände gefallen. Inzwischen sind es, zusammen mit meinem Kommentar von 1992, Zeitdokumente. Wie soll man heute als Zeitzeuge einem 25-Jährigen erklären, was es 1989 bedeutete, einem SED-Parteisekretär ein Papier zu überreichen, das die gesamte DDR-Politik infrage stellt?!

Gerade heute haben WASG und PDS für die Verschmelzung und die Gründung der neuen gemeinsamen Partei 'Die Linke' gestimmt. Damit wird es in Deutschland also bald eine linke 'Einheitspartei' geben, die sich wieder den Aufbau des Sozialismus auf die Fahnen geschrieben hat. An diesen Unterlagen zum letzten Umtausch der Parteidokumente ist exemplarisch zu erkennen, wie grandios die Vorgängerpartei der neuen Linken auf der ganzen Linie gescheitert ist, als sie die historische Chance hatte, eine sozialistische Gesellschaftsordnung aufzubauen.
Kein weiterer Kommentar.

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