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Gehaltskürzung per Dekret


Weihnachten war vorbei, Entspannung war angesagt. Ein paar Tage Urlaub zwischen den Feiertagen, dann sollte es im Neuen Jahr wieder losgehen. Ein harmloses Schreiben lag zwischen guten Wünschen zum Neuen Jahr im Briefkasten. "Ihre Einordnung in die Vergütungsgruppe la wird als endgültig bestätigt" De jure und de facto bedeutet dieser unverfängliche Satz, daß ich ab Januar 1993 rund 734,20 DM weniger für die gleiche Arbeit bekomme.

Aus heiterem Himmel eine Gehaltskürzung um 17 %. Warum? Ganz einfach, weil die Menschen in den neuen Bundesländern trotz aller schöner Reden Bürger zweiter Klasse sind. Ich bin zwar nach Überwindung einer Personalkommission, die meine persönliche Integrität zu überprüfen hatte und der fachlichen Evaluierung jetzt auch Angehöriger des Öffentlichen Dienstes. Zwar mit gleichen Pflichten, aber ohne äquivalente Rechte und Bezahlung gegenüber Angehörigen des Öffentlichen Dienstes in den alten Bundesländern.

Drei Dinge sind regelrecht diskriminierend: Wir bekommen im Osten für die gleiche Leistung weniger Geld (derzeitig offiziell 75 %, de facto höchstens um 60 %). Obwohl evaluiert haben wir immer noch den Arbeitsvertrag aus DDR-Zeiten. Nach dem Einigungsvertrag und einem Anschlußgesetz können wir bis zum 31.12.1993 problemlos gekündigt werden können, wenn das Land meint, uns nicht mehr zu benötigen.

Besonders interessant ist, wozu mich der noch 1993 gültige Arbeitsvertrag verpflichtet: "... treu zur Deutschen Demokratischen Republik zu stehen und unablässig für die Festigung ihrer politischen und ökonomischen Grundlagen zu wirken, ... die Beschlüsse der Partei der Arbeiterklasse konsequent zu verwirklichen, ... den Bürgern die Politik des Arbeiter- und Bauernstaates zu erläutern, ... politisch wachsam zu sein, die Staats- und Dienstgeheimnisse zu wahren ..." Originalzitate aus dem Arbeitsvertrag den ich am 02. Januar 1978 unterschrieben habe (auch da hatte ich keine Wahl!), und den ich jetzt noch zu erfüllen habe !!

 

Warum stört das den neuen Staat nicht? Weil er daraus Vorteile zieht. Der wichtigste Vorteil ist der, daß die Rechtslage völlig unklar ist. Für den Arbeitgeber ist das immer ein Vorteil, denn im Zweifelsfall gilt nichts mehr, was der Arbeitnehmer einklagen will. Der Arbeitgeber hingegen kann sich bei Streitfällen auf übergeordnete Gesetze zurückziehen.

In meinem Fall kann ich mich gegen eine Änderung der Eingruppierung nicht wehren, weil mir nur eine vorläufige Eingruppierung mitgeteilt wurde. Bei diesem Schreiben vom Sommer 1991 fehlt sogar der Bezug zu meinem Arbeitsvertrag. Im Erlaß zu §22 Nr.1. bis 2. BAT-0st steht der schöne Satz: "Übergangsvorschrift: Bis zum 31. Dezember 1992 begründen fehlerhafte Eingruppierungen keinen arbeitsvertraglichen Anspruch." Man mußte nur dafür sorgen, daß das Schreiben mit der Änderung noch vor dem 31.12.1992 beim Arbeitnehmer ankommt." Bei mir ist es am 29.12.1992 eingegangen. So einfach ist das, wenn ein Land ein anderes übernimmt. Die diskriminierten Ossi's sind zwar im Rechtsstaat gelandet, können sich aber nur durch Auswanderung nach Westdeutschland wehren.

Noch am gleichen Tag habe ich Widerspruch eingelegt. Daraufhin hat am 10.02.1993 ein "klärendes Gespräch" zwischen dem Rektor und mir stattgefunden. Grundtenor: "Wir wissen doch alle wie die Lage ist. Und damit wissen Sie auch, obwohl das schmerzlich ist, daß Sie keinen Rechtsanspruch auf das bisher gezahlte Gehalt besitzen."

Ich habe darum gebeten, daß wenigstens mein Schreiben vom 29.12.1992 offiziell beantwortet wird und darin auf die gültige Rechtslage verwiesen wird. Nicht einmal das ist geschehen. Ich habe lediglich bei anderer Gelegenheit kommentarlos eine Kopie mit der o.g. "Übergangsvorschrift" erhalten.

Anlagen in meinen Akten:
Schreiben meines AG vom 15.12.1992
Widerspruch AL vom 29.12.1992
Antwortschreiben des AG: ... existiert nicht ...!

Jürgen Albrecht, 11. April 1993

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