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Katholische Spitzfindigkeiten

Die Katholische Kirche tritt seit Jahrzehnten strikt und konsequent gegen Empfängnisverhütung und Abtreibung auf. An vorderster Front der Papst, so wie sich das in einem zentralistischen System gehört. Keine Papstreise, wo der Heilige Vater nicht den Völkern der Welt verkündet, dass Geburtenkontrolle und Interruptio eine schwere Sünde ist. So weit, so gut. Ich stimme zwar mit der Position des Papstes nicht überein, aber bisher habe ich akzeptiert, dass es für diese Haltung gute, aufrechte und moralische Gründe gibt.

Nach der Wiedervereinigung wurde in Deutschland das Abtreibungsrecht liberalisiert. Bis zur 12. Schwangerschaftswoche kann straffrei abgetrieben werden, wenn vorher nachweislich eine lizenzierte Beratung ('zum Leben') stattgefunden hat. Es gibt staatliche, konfessionelle und Beratungsstellen in freier Trägerschaft. Alle stellen nach der Beratung Zertifikate für die straffreie Abtreibung aus. Dieser Beratungsschein war der katholischen Kirche immer suspekt. Für Bischof Dyba (Fulda) ist dieser Schein die 'Lizenz zum Töten'. In seinem Bistum gibt es deshalb seit Jahren keine katholischen Beratungsstellen mehr. Der Schein wird nicht mehr ausgestellt. Auch eine klare und konsequente Position, die ich akzeptiere, obwohl es nicht meine ist.

Der Papst hat die deutschen Bischöfe hinter den Kulissen offensichtlich mehrfach ermahnt, sich am deutschen Abtreibungssystem nicht mehr zu beteiligen. Nur Bischof Dyba zeigte den wahren Gehorsam und schloss seine Beratungsstellen. Alle anderen Bistümer machten weiter wie bisher. Vor ein paar Wochen nahm der Papst seine 'Richtlinienkompetenz' wahr und erteilte den Bischöfen eine klare Weisung, 'keine Beratungsscheine mehr auszustellen, die zur Durchführung straffreier Abtreibungen verwendet werden können.'

Die Bischöfe gingen in Klausur und sahen sich in der Klemme. Auf der einen Seite ist die Weisung ihres Oberhirten eineindeutig und sie haben sich dem moralisch so rigorosen Papst gegenüber zu Gehorsam verpflichtet. Auf der anderen Seite stehen sie in der Pflicht zur Seelsorge, die gerade ungewollt schwangere Frauen dringend nötig haben. Die aber brauchen die Seelsorge oft ausschliesslich nur in Form des Beratungsscheines.

Hin und her gerissen zwischen zwei gegenläufigen Pflichten suchten die Bischöfe nach der Quadratur des Kreises.

Sie verliessen gelöst und entspannt die Klausur, sogar Bischof Dyba war erleichtert. Bischof Lehmann gab als Vorsitzender der deutschen Bischofskonferenz das Ergebnis der zweitägigen Tagung bekannt: Der Beratungsschein wird von den katholischen Beratungsstellen weiterhin ausgestellt, aber er wird mit dem Zusatz versehen: 'Dieser Beratungsschein kann nicht zur Durchführung einer straffreien Abtreibung verwendet werden.' Damit wird die Weisung des Papstes eindeutig erfüllt.

Und wo ist die Quadratur des Kreises?? Kein einfacher Christenmensch würde auf die Lösung dieser Zwickmühle kommen. Dazu braucht man höhere Eingebungen. Und doch könnte die Auflösung simpler nicht sein: Es wurde das Prinzip angewendet, das man aus dem Märchen von des Kaisers neuen Kleidern kennt: Der deutsche Staat stellt sich auf dem rechten Auge blind und sieht auf dem Schein nur den Satz: 'Es hat eine Beratung stattgefunden.' Also, folgert er, es kann straffrei abgetrieben werden. Der Papst, die Bischöfe und alle Katholiken halten sich das linke Auge zu und lesen nur den Satz: '... kann nicht zur Durchführung einer straffreien Abtreibung verwendet werden.' Daraus schliessen sie, dass ein Fötus für das Paradies gerettet und eine grosse Sünde verhindert wurde.

Eine geradezu geniale Lösung. Im SPIEGEL 26/1999 zeigt sich Bischof Lehmann sicher, dass der Vatikan diese begnadete Augenwischerei als Lösung des Problems akzeptiert. Wörtlich sagt er: '... Sie (die Frau) kann mit dem Beratungsschein machen, was sie will. Sie kann ihn zerreissen und in den nächsten Bach werfen. Sie kann aber auch zum abtreibenden Arzt gehen ...'

Es gibt ein sechstes Gebot (Du sollt nicht töten) und ein neuntes (Du sollst kein falsches Zeugnis ablegen). Aber es gibt kein 11. Gebot: Du sollst ehrlich, glaubwürdig und wahrhaftig in Deiner Rede und in Deinem Tun sein.

Dem Herrn in seiner Güte sei Dank.

Jürgen Albrecht, 02. Juli 1999

 

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