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Der Papagei und der Sinn des Lebens Seite 1/3

Ich habe die Füsse hoch gelegt und beobachte den Sonnenuntergang und das Erscheinen der beiden Leitsterne des Southern Cross. Dieses Schauspiel gönne ich mir jeden Abend hier in Alice Springs. Gerade habe ich Abendbrot gegessen, jetzt wird es langsam dunkel. Bevor die Farben ganz verschwinden, werden sie intensiver. Es ist richtig kalt, nur 27 Grad und es ist sehr windig. Entspannt sehe ich von meinem so herrlich bequemen Liegestuhl einem grünen Papagei zu, der sich wahrscheinlich über meine Dummheit aufregen würde, wüsste er, dass ich Papagei zu ihm sage. Denn natürlich ist es ein Kakadu, der zwischen den kleinen Steinchen nach Samen sucht, die von den schon wieder blühenden Bäumen gefallen sind. Jeden Abend kommt er, meistens in Gesellschaft seiner Familie. Bis zu sechs solcher grüner Gesellen habe ich hier schon beobachtet. Aber sie sind sehr scheu, für ein Foto komme ich nicht nahe genug an sie heran.

Was denkt sich der Kakadu so, während er hier nach seinem Abendbrot sucht? Sieht er das tiefe Blau am Himmel? Haufenwolken werden auch in dieser Nacht verhindern, dass es einen makellosen Sternenhimmel gibt. Stört das den Kakadu, nimmt er es überhaupt zur Kenntnis? Denkt er darüber nach, was er morgen machen wird und was im nächsten Jahr? Hofft auch er, durch Jesus Christus, Abraham oder Mohammed unsterblich zu werden, oder doch wenigstens Spuren in Alice Springs zu hinterlassen?

Völlig verrückt, höre ich da schon wieder einige sagen! Was sich dieser Mensch schon wieder für merkwürdige Gedanken macht. Dabei sind sie gar nicht so abseitig und abstrus wie es den Anschein hat. Im Gegenteil, in ihnen liegt der Schlüssel für die Beantwortung der Frage, ob die Welt erkennbar ist, oder nicht.

 

Schon diese Frage ist von den Philosophen des vorigen Jahrhunderts sehr unscharf gestellt: Was heisst 'Die Welt' und was heisst 'erkennbar'? Ich gehe davon aus, 'Die Welt' ist mehr als unsere Erde, es ist alles, was existiert, die Umgebung unseres Universums eingeschlossen. 'Erkennbar' soll heissen, ich kann jede Frage beantworten, die sich überhaupt sinnvoll stellen lässt. Alles ist erklärbar.

Die Fragen, die ich dem Kakadu untergeschoben habe, stellt er sich nach unserem heutigen Wissen nicht. Mit der Einschränkung: Nach unserem heutigen Wissen. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass er sich diese Fragen stellt, aber vielleicht stellt er sich andere. Wer will das ausschliessen?

Wenn die Welt erkennbar wäre, so müssten wir aber wenigstens eine Chance sehen zu erkennen, was der Kakadu den ganzen Tag so denkt. Es ist zu einfach nur zu sagen, der Mensch denkt, die Tiere nicht. Heute wissen wir, wie eng Denken und Emotionen beim Menschen miteinander verwoben sind. Die Emotionen dominieren das Verhalten des Menschen. Und keiner kann den Tieren Emotionen absprechen. Ohne Emotionen (die Reaktionen auf die Botschaft der Sensoren) könnten sie sich in dieser Welt nicht zielgerichtet bewegen. Wahr ist sicher, dass Tiere nicht wie Menschen denken. Aber denken sie überhaupt nicht, oder nur anders?

Man sieht, wie schnell man mit ganz einfachen Fragen an die Grenzen unseres Wissens stösst. Es ist einfach vermessen zu behaupten, irgendwann könnten wir die Welt komplett erklären. Viele Fragen können formuliert werden, die prinzipiell nicht zu beantworten sind. So eine Frage ist die nach dem Sinn des Lebens. Ist es schon eine Antwort zu behaupten, es gibt keinen Sinn des Lebens?

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