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Mehrwert - Seite 3/3

Wann das sein wird, spielt kaum eine Rolle, so wie auch tausend Jahre in der Entwicklung des Menschen kaum eine Rolle gespielt haben. Nur eines ist völlig klar: Auch diese Hochkultur wird mit Sicherheit untergehen. Alleine deshalb, weil bisher nicht eine der vielen menschlichen ‚Hochkulturen' die einfachste aller Regeln der Natur beachtet hat: Man kann nur mit dem überleben, was vorhanden ist. Diese Regel schreibt mindestens geschlossene Stoffkreisläufe vor, die aber beherrscht der Mensch nicht. Es ist aber überhaupt kein Problem, wenn und dass diese hochtechnisierte Gesellschaft untergeht. Erstens ist es ja nicht das erste Mal und aus der Evolution des Lebens kann man lernen, dass gerade immer Krisensituationen auch der Ausgangspunkt für die Entwicklung neuer Arten gewesen sind. Also liegt gerade im Untergang auch eine Chance.

Mit dem gegenwärtig weltweit existierenden Modell des Menschen funktionieren nur Zivilisationen, die sich auf die Marktwirtschaft gründen. Alles andere ist Illusion, es gibt aus rein biologischen Gründen dazu keine Alternative. Prinzipiell andere, neue Gesellschaftsordnungen, können erst mit dem berühmten ‚Neuen Menschen' funktionieren. Die Erkenntnis, dass der Neue Mensch nicht durch Bildung und Erziehung zu schaffen ist, wurde entsetzlich teuer bezahlt. Jetzt aber steht klar und eindeutig fest, ein qualitativ anderer Mensch wird sich nur durch biologische Evolution entwickeln. Und dazu sind nicht nur eine oder fünf Generationen nötig, viel wahrscheinlicher müssen bis dahin zehn-, fünfzig oder auch hunderttausend Jahre vergehen. Aber ob die natürliche Evolution dann in eine Richtung verläuft, wo die Vernunft des Menschen seine Lust auf Mehrwert bezwingt und unter Kontrolle hat, das ist völlig ungewiss.

Ein Phänomen am Rande: Es gibt sogar schon den Menschen, in dessen Genen sich andere Werte, als Mehrwert und Zinswirtschaft manifestieren und der geschlossene Stoffkreisläufe beherrscht: Die Aboriginals in Australien. Die gesamte Kultur der Aboriginals ist darauf gerichtet, in Harmonie mit der Natur zu leben und in die Umwelt nur in dem Masse einzugreifen, wie es für das Fortbestehen der eigenen Art absolut erforderlich ist.

 

Mit dieser Grundeinstellung haben sie in Australien 40.000 Jahre im Einklang mit der Natur gelebt, länger als jede andere menschliche Kultur. Mehrwert, Arbeit und Geld spielten absolut keine Rolle. Vor 200 Jahren kollidierten die Aboriginals mit der Kultur des ‚Weissen Mannes'. Das Unverständnis der Aboriginals für die fremde Kultur mit den unbekannten Werten ist so gross, wie unser Unverständnis für ihre Kultur. Keinem Weissen würde es einfallen, die Kultur der Aboriginals übernehmen zu wollen. Die Kolonisatoren erwarten aber bis heute, dass sich die Aboriginals in unserer Zivilisation assimilieren und fragen sich erstaunt, warum das nicht funktioniert. Die Ursache liegt in der Unverträglichkeit zweier qualitativ unterschiedlicher Kulturen und der damit verbundenen fundamentalen, weil genetischen, Prägung der jeweiligen Menschen. Keiner kann sich (und will sich) von dieser Prägung lösen. Dieser Konflikt ist so fundamental, dass er zur Auslöschung der Kultur der Aboriginals führt. Das Volk der Aboriginals hat die weisse Kolonialisierung überlebt, aber es hat mit dem Land seine Kultur und damit unwiederbringlich seine Identität verloren. Es gibt keine Aboriginals mehr, es gibt nur noch kulturell entwurzelte, australische Ureinwohner.

Ein naheliegender, letzter Gedanke: Wahrscheinlich hat der Mensch mit der Weiterentwicklung von Wissenschaft und Technik sogar seine eigene biologische Evolution in der Hand. Aber auch hier werden ihm seine Emotionen wieder ein Bein stellen. Er wird nicht in der Lage sein, vor den pröbelnden Experimenten mit seinem eigenen Erbmaterial, systematisch und vernünftig einen Entwurf für den zu schaffenden neuen Menschen auszuarbeiten und diesen dann zielgerichtet zu realisieren. Die Emotionen werden ihn davon abhalten und er wird sich auch über seine eigenen Erbanlagen mit dem Grundverfahren ‚Trial and Error' hermachen.

Wahrscheinlich gibt es wirklich so ein Naturgesetz: Der Mensch ist gefangen in seiner Schicht.

Jürgen Albrecht, 12. Februar 1999

 

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