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Lügen - alltäglich, nützlich ... Seite 3/3
 

Es hat keinen Zweck, darüber zu jammern: Die Lüge ist systemimmanent und man muss mit dieser Situation leben, sie wird sich nicht ändern. Ausser der Tatsache, dass die Lüge eine bewährte Methode im Kampf um Geld und Ansehen ist, gibt es noch einen anderen Gesichtspunkt: Die Menge der wirklich streng objektivierbaren Sachverhalte ist wesentlich geringer, als man landläufig annimmt.

Zum Beispiel könnte man beim Kosovo-Krieg zwar die Anzahl der abgeworfenen Bomben, der Kampfeinsätze und der zerstörten Brücken zählen und damit objektivieren. Aber schon dabei stellen sich Probleme ein: Was ist eine Bombe und wann ist eine Bombe eine Marschflugkörper. Was ist ein Kampfeinsatz? Zählt auch eine Planke über einen kleinen Fluss als Brücke, die altersschwach, gerade jetzt zerbrochen ist? Diese Probleme, tauchen bei jeder Statistik auf. Jede Statistik ist die subjektive Sicht ihrer Macher.

Viel grösser noch ist die Schwierigkeit, sollte man einem Bewohner aus dem Orionnebel erklären, worum es in diesem Kosovo-Konflikt geht. Warum wurde dort Krieg geführt, warum marschieren dort jetzt Truppen vieler verschiedener Länder ein und bewirken damit ein so grenzenloses, organisatorisches Chaos? Jeden, den der Mann aus dem Orionnebel fragt, wird etwas anderes sagen. Wenn er sich dann daraus ein Bild von der Situation gemacht hat, dann ist das seine subjektive Sicht, seine Einschätzung. Aber es ist keine objektive Information.

Ein solcher Sachverhalt ist nicht objektivierbar. Bei allen sozialen Aspekten unseres Lebens

sind wir nur von solchen Tatbeständen umgeben, die prinzipiell nicht objektivierbar sind. Die objektive Information ist der Sonderfall. Und dieser Fall tritt bei den sozialen Beziehungen nur in Nebenaspekten auf (wie spät und wie kalt ist es ...?). Hier liegt auch der fundamentale Unterschied zwischen den Geistes- und Naturwissenschaften. Nur in der Naturwissenschaft hat man das Glück, vorwiegend mit objektiven Gesetzen und mit objektiv beschreibbaren Gegenständen hantieren zu können.

Alle wirklich wichtigen, gesellschaftlichen und zwischenmenschlichen Sachverhalte, sind nur subjektiv zu charakterisieren. Diese Tatsache begünstigt ausserordentlich Lüge, Täuschung und Unehrlichkeit. In den meisten Fällen existiert gar keine objektive Sicht der Dinge. Wem Lüge vorgehalten wird, der kann sich in der Regel auf einen speziellen und subjektiven Standpunkt zurückziehen, der legitim ist und der subjektiv sogar auch 'wahr' sein kann!

Weil es objektive Wahrheiten nur in den strengen Bereichen der Naturwissenschaften gibt, ist die Wahrheit in den allermeisten Fällen ein flüchtiges, scheues Reh und so wenig greifbar wie ein Ufo und das Ungeheuer vom Loch Ness. Außer der Tatsache, dass man mit dem Lügen vortrefflich Geld verdienen kann, wird deshalb das Lügen ganz entscheidend dadurch begünstigt, dass es die Wahrheit praktisch nicht gibt.

Damit muss man leben, auch das gehört zur objektiven Realität.

Jürgen Albrecht, 21. Juni 1999


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