Es muss erlaubt sein, nach den Gründen zu fragen, die vor 80 Tagen zu diesem Angriffskrieg der NATO ohne UNO-Mandat geführt haben. Und die entscheidende Frage ist, ob und zu welchem Preis die hehren, humanistischen Ziele der NATO erreicht worden sind. Denn es war der erste Krieg überhaupt, der offiziell begonnen wurde, um (wörtliche Zitate der NATO von März 1999) 'gravierende Menschenrechtsverletzungen zu stoppen und eine humanitäre Katastrophe zu verhindern'.

In 80 Tagen hat die NATO die Infrastruktur dieses Landes schwer verwüstet. Seltsamer Weise war sie trotz gegenteiliger Erfolgsmeldungen offensichtlich nicht in der Lage, die schweren Waffen der jugoslawischen Armee zu zerstören. Sogar die Luftabwehr hat bis zuletzt funktioniert und mehr als die Hälfte der serbischen Kampfflugzeuge sind noch einsatzfähig. Die Serben haben eine äusserst erfolgreiche Strategie verfolgt: Sie wussten, dass sie gegen die militärische Übermacht aus der Luft nichts ausrichten konnten. Deshalb sind sie gar nicht erst angetreten, sondern sind nur in Deckung gegangen und haben alles daran gesetzt, ihre Waffen zu verstecken. Sie haben darauf gewartet, dass der Bodenkrieg beginnt. In den wollte sich die NATO mit den Erfahrungen aus Vietnam aber absolut nicht verwickeln lassen.

Jetzt haben die Amerikaner, die zu 90% diesen Luftkrieg mit ihren Waffen bestritten haben, wieder etwas dazu gelernt: Mit Bombardierungen kann man zwar ein Land verwüsten, aber man trifft nicht die Armee und man ändert nicht die Gesinnung der Bevölkerung. Vorher hat man das natürlich nicht gewusst. Dieser Erkenntnisgewinn für die Amerikaner und die NATO hat Yugoslawien die Infrastruktur gekostet. Sie wurde auf das Niveau von 1945 zurück gebombt.

Genaue statistische Angaben über die Kriegsschäden werden von beiden Seiten als grosses militärisches Geheimnis behandelt. Den Medien und den Politikern jeder Couleur kann man nichts glauben. Alle lügen vor laufender Kamera, ohne es selber überhaupt noch zu merken. Auch exakte Zahlen über die Kriegs- und die Kriegsfolgekosten sind streng geheim und von der NATO nicht zu bekommen.

Es gibt nur Schätzungen: Mindestens 11 Milliarden DM hat danach das Bombardement gekostet. Für den Wiederaufbau werden das Zehn- bis Zwanzigfache benötigt. Die Friedenstruppe kostet 8 bis 10 Milliarden DM jährlich. Nur die humanitäre Hilfe ist billig: Sie ist schon ab 100 Millionen DM pro Woche zu haben.

In den Augen der NATO und der 'freien Welt' sind diese Ergebnisse von 80 Tagen Luftkrieg natürlich nicht etwa Menschenrechtsverletzungen. Auch das jetzt angerichtete Chaos ist keine humanitäre Katastrophe. Dass jetzt die Serben durch die von der NATO geschaffenen Umstände aus dem Kosovo vertrieben werden, ist keine ethnische Säuberung unter umgekehrten Vorzeichen und auch keine Flüchtlingstragödie. Das alles ist der Sieg des Guten über das Böse.

Entscheidend aber ist, dass sich die ethnischen Konflikte auf dem Balkan durch diesen Krieg überhaupt nicht verändert haben. Im Gegenteil: Der Hass zwischen Serben und Albanern hat sich wie erwartet vervielfacht. Natürlich haben auch die Amerikaner und die NATO vorher gewusst, dass man mit einer 'kurzen Luftoperation' keine ethnischen Konflikte löst. Es ging weder um Menschenrechte, die Beseitigung eines unmenschlichen Diktators oder die Probleme eines Vielvölkerstaates. Hier wurde und wird ein klassischer Stellvertreterkrieg ausgetragen. Für Machtspiele von Weltpolizisten ist der Balkan der ideale Sandkasten.

Wer erklärt mir, warum dieser Krieg geführt wurde und was er für einen Sinn hat? Was haben 8500 deutsche Soldaten als Folge dieses Krieges für unabsehbare Zeit im Kosovo zu suchen? Wann werden die Flüchtlinsprobleme in Palästina, im Sudan, in Kolumbien und anderswo auf der Welt mit Luftschlägen der NATO gelöst? Warum müssen Sie, Du und ich die Kriegskosten und den Wiederaufbau der zerbombten Infrastruktur Yugoslawiens bezahlen?

Und die letzte Frage: Wer oder was schützt uns vor der nächsten, mit Gewalt ausgelösten, humanitären Katastrophe?