BACK

 

Generationswechsel in der Fotografie

Ungefähr vor fünfzig Jahren habe ich mir meine erste Kamera gekauft. Ich war vielleicht 15 Jahre alt und die Kamera hiess Tenax. Sie hatte ein Filmformat von 24 x 24 mm und für die Festbrennweite von 35 mm war ein Tessar verantwortlich. Bei dieser Kamera war nichts automatisiert, Entfernung, Blende und Belichtungszeit musste man selber einstellen. Die Filme habe ich im abgedunkelten Badezimmer entwickelt. Natürlich waren es Schwarz-Weiss-Filme. Auch Vergrösserungen habe ich gemacht. Den dazu nötigen Vergrösserungsapparat hatte ich mir alleine gebaut. Das war gar nicht so einfach. Aber 1950 war jeder aufgeschmissen, der nicht mit Feile, Schraubstock und Lötkolben umgehen konnte. Wir hatten uns im Keller eine Werkstatt eingerichtet und beherrschten viele Gewerke ...

Mit der eigenen Filmentwicklung und mit dem Vergrösserungsappart war ich unabhängig und auf dem Stand der Technik. Innerhalb von Stunden konnte ich Fotos herstellen und das billig und in allen Grössen und Bildausschnitten. Auch die Bildbearbeitung kam zum Einsatz, denn natürlich kann man bei der Herstellung von Papierbildern die Gradation beeinflussen und das Bild mit verschiedenen Effekten (Solarisation!) verfremden.

Dieser Stand der Technik von 1950 veränderte sich in der DDR in den nächsten 20 Jahren kaum. Ich stieg auf die 6 x 6 - Kamera Pentacon Six um. Dafür gab es auch mehrere Objektive und ein TLT-Prisma zur Belichtungsmessung. Jetzt hatte ich auch einen besseren Vergrößerungsapparat. Damit habe ich bis 1990 noch alle meine Schwarz-Weiss-Fotos selber in der Badewanne produziert. Auch in der DDR gab es ab ca. 1980 Farbfilme und Farbbilder. Aber erstens waren sie schlecht, zweitens teuer und drittens konnte man solche Farbfotos nur mit sehr hohem Aufwand alleine machen. Der grösste Nachteil aber war, dass man dabei keine Ausschnittvergrösserungen zur Verfügung hatte. Deshalb blieb ich vor 1990 bei Schwarz-Weiss.

In den 80-er Jahren wurde - vorwiegend in Japan - die Kleinbild-Kompakt-Kamera entwickelt. Die Entwicklung der Mess- und Digitaltechnik liessen es zu, dass diese Kameras bald völlig automatisiert waren. Ausserdem waren sie mit Zoom-Objektiven ausgestattet. Man brauchte also nur das Motiv festlegen und auf den Auslöser zu drücken: Nach der Entwicklung bekam man durchweg qualitativ hervorragende Farbfotos. Diese Vorteile waren so gross, dass man den immer noch existierenden Nachteil, keine Bildausschnitte herstellen und das Bild auch nicht manipulieren zu können, in Kauf nahm.

Die 90-er Jahren sind die Jahre des Untergangs der Schwarz-Weiss-Fotografie (im Westen fand er schon 10 Jahre früher statt).

Die Kompaktkamera konnte absolut mit den professionellen Spiegelreflexkameras mithalten. Damit sind einfach so gute Bilder zu machen, dass keiner mehr den verlorenen Bildausschnitten nachtrauerte.

Parallel dazu verlief in den 90-er Jahren die Entwicklung der digitalen Bildverarbeitung - ohne digitale Kameras! Ursprünglich wurde die Bildbearbeitung für die Printmedien entwickelt. Am Ende der 90-er Jahre ist sie dabei, eine genau so selbstverständliche PC-Technik wie die Textverarbeitung zu werden, die in den letzten 10 Jahren die mechanische Schreibmaschine völlig vom Markt gedrängt hat. Mit den heutigen Hard- und Softwaresystemen ist die Bildbearbeitung so problemlos zu beherrschen, dass die Benutzung dieser neuen Kulturtechniken für Schüler eines Gymnasiums fast schon selbstverständlich sind.

Die digitale Fotografie macht der konventionellen chemigrafischen Fotografie seit ca. 1998 ernsthaft Konkurrenz. Scanner sind für 200 DM zu haben und digitale Kameras werden immer leistungsfähiger und billiger. Plötzlich stellt man fest, dass man mit der digitalen Fototechnik wieder da angekommen ist, wo man 1950 mit Schwarz-Weiss-Fotos schon mal war: Ausgerüstet mit einem PC und einem Scanner, kann man von den Farbbildern, die man mit einer Kompaktkamera gemacht hat, wieder Bildausschnitte erzeugen und die digitalen Bilder in ungeahnter Breite manipulieren - ohne Dunkelkammer.

Solange man diese Bilder nur am Monitor oder im Internet betrachten will, ist die digitale Fotografie mit Digitalkamera und Bildbearbeitung heute bereits ausgereift. Für rund 500 DM sind auch schon Colorprinter zu haben, deren Druckqualität mit konventionellen Fotos konkurrieren kann. Nur bei extremen Qualitätsanforderungen und bei grossen Formaten besitzen Papierfotos noch Qualitäts- und Preisvorteile.

Man braucht kein grosser Prophet zu sein, um die weitere Entwicklung vorherzusagen: Spätestens in 10 Jahren wird ein kompletter Generationswechsel erfolgt sein: Die photochemischen Bilder sind in eine Nische abgedrängt. Alle Welt fotografiert digital und verwendet diese digitalen Bilder vorwiegend am PC und im Internet. Die Erzeugung von Bildausschnitten ist selbstverständlich, die Bildmanipulation alltäglich. Bilder werden in Fotoqualität auch in jeder beliebigen Grösse und Qualität ausgedruckt.

Nur eines ist völlig unklar: Was wird wann die digitale Fototechnik ersetzen ?!

Jürgen Albrecht, 03. Mai 1999

 

BACK