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Entscheidung für 2600 Betonstelen
 

Der Streit um das Mahnmal für den jüdischen Holocaust ist zehn Jahre alt. In der öffentlichen Debatte konnte keine Übereinkunft darüber erzielt werden, ob so ein Mahnmal überhaupt gebaut werden soll und in welcher künstlerischen Form sich die Deutschen von Hitlers Judenvernichtung distanzieren sollten. Schliesslich landeten diese Fragen beim Deutschen Bundestag, der darüber am vergangenen Freitag (25.06.1999) entschieden hat.

Interessant war schon die Fragestellung, über die abgestimmt wurde, denn sie verweist bereits auf die Problematik:

 

  1. Soll überhaupt ein Mahnmal in der Mitte von Berlin gebaut werden?
  2. Soll es nur an die Juden, oder an alle Opfer der Nazidiktatur erinnern?
  3. Soll es a) ein Stelenfeld, b) ein Stelenfeld mit Dokumentationscenter oder c) eine schlichte Säule mit der Inschrift 'Du sollst nicht morden' sein?

 

Ich habe die Debatte nur bruchstückhaft im Fernsehen verfolgt, ich lese lieber Zeitung. Aber in den Wochenendzeitungen (Berliner Zeitung, Tagesspiegel) wird zwar die Debatte kommentiert, aber es gibt keine Zahlen zum Abstimmungsverhältnis über diese drei Fragen. Es gab jeweils sehr klare Mehrheiten: Ja, ein Mahnmal in Berlins Mitte; Ja, ein Mahnmahl ausschliesslich für die ermordeten Juden; Ja, 314, Nein 209, 14 Enthaltungen, für ein Stelenfeld mit 2.600 Betonstelen plus 'Ort der Information'.

Ich dagegen bin komplett anderer Meinung: Nein, kein 'Monument' neben dem Brandenburger Tor; Nein, nicht nur für die ermordeten Juden, sondern für alle Opfer; Nein, kein Stelenfeld, wenn überhaupt, dann eine schlichte Säule.

Aus meiner Sicht gibt es für meine Meinung gute und absolut vernünftige Gründe:

 

  • Dieses Mahnmal kommt 50 Jahre zu spät. Es beweist, dass es bis 55 Jahre nach diesem Holocaust starke und entscheidende Kräfte in (West-) Deutschland gegeben hat, die ein solches Denkmal verhindert haben.
  • Angesichts der 60 Millionen Toten des II. Weltkrieges *) und der vielen Völkermorde, die in den letzten 500 Jahren stattgefunden haben **), ist es grotesk, nur den ermordeten Juden ein gigantisches Denkmal zu setzen.
  • Es ist anmassend, von der Singularität des jüdischen Holocaust zu sprechen. Jeder Völkermord und jede Menschenrechtsverletzung ist singulär.
  • Es gibt (gerade auch in und um Berlin) viele authentische Orte, Museen und spezielle Dokumentationszentren, die an die Diktatur der Nazis und ihren Terror erinnern.
  • Was nützt, was bewirkt ein Denkmal, ein Memorial, ein Monument? Es ist ein Zeichen, ein Objekt der Politik und der Medien. An der Einstellung der Menschen ändert es nichts. Wollte man Wirkung erreichen, wäre z.B. die Gründung eines deutsch-israelischen Jugendwerks viel sinnvoller gewesen.
  • Es gibt keine allgemein akzeptierte, künstlerische Form, die der Position der Deutschen zum jüdischen Holocaust Ausdruck verleiht.
  • Es ist eine irrige Auffassung, dass ein gigantisches Verbrechen, auch ein monumentales Denkmal erfordert. Die Geschichte beweist: Im Nachhinein sind derartige Monumente nur noch peinlich.
  • Der Staat Israel und sein Verhalten gegenüber seinen Nachbarn begünstigt weltweit das Wiedererstehen antisemitischer Ressentiments: Aus der Geschichte nichts gelernt.

 

Mit diesen Gründen ist die Entscheidung des Deutschen Bundestages für ein Monument mit 2.600 Betonstelen nicht nachzuvollziehen. Die seit Jahren sehr aktive Lobby für dieses Mahnmal hat offensichtlich gegen jede Vernunft ganze Arbeit geleistet.

Natürlich respektiere ich die Entscheidung des Bundestages. Mehr noch, inzwischen befürworte ich sogar den Bau dieses Mahnmals. Die deutsche Politik hat so ein Monstrum als moralisches Feigenblatt verdient: In erster Linie ist es ein Zeichen für das gestörte Verhältnis zwischen Deutschen und Juden sowie Deutschland und Israel. Ausserdem erinnert es die Deutschen an die bis heute noch nicht bewältigte nationalsozialistische Vergangenheit. Und nicht zuletzt wurde hier dem so wirkungsvollen parlamentarischen Lobbyismus ein unübersehbares Denkmal gesetzt.

Dieses Monument wird seine Funktion hervorragend erfüllen, denn es wird immer wieder in die Schlagzeilen der Medien geraten. Ständig wird es Angriffe von Chaoten, Terroristen, Grabschändern und harmlosen Sprayern auf sich ziehen und die Berliner Polizei auf Trab halten. Gut so!

*) Im 2. Weltkrieg starben: 25 Millionen Russen, 15 Millionen Chinesen, 6 Millionen Juden, 6 Millionen Polen, 4 Millionen Deutsche, 2 Millionen Japaner ... Insgesamt mindestens 60 Millionen Tote.

**) Aborigines, Afrikaner (Sklaven), Armenier, Azteken, Hutu und Tutsi, Indianer, Inka, Juden, Kambodschaner, ungezählte kleine Naturvölker.

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