BACK

Wanderung im Maligne Valley 2/2

Die Flanken des Opal Peak

Meine Barometeruhr zeigt um 14:10 Uhr beim Start 1300 m an. Das entspricht 1676 m, der Höhe des Maligne Lake. Nachdem ich alle Parkplätze hinter mir gelassen habe, führt der Weg durch ein schmales und flaches Tal, dann aber geht es in den Wald und gleich richtig zur Sache. Der Wanderweg ist gut ausgetreten und trocken. Es geht häufig über Wurzeln und ausgewaschene Stellen. Aber das ist alles kein Problem, entscheidend ist, dass man hier Power und Kondition hat, denn es geht von Anfang an steil nach oben. Meistens 30 Grad, aber an vielen Stellen sind es auch 45 Grad. Da kommt der Kreislauf schnell in Fahrt. Auf meiner Barometeruhr sehe ich, wie viel ich noch vor mir habe. Es geht, aber natürlich würde es besser gehen, wenn ich 40 Jahre jünger wäre.

Ich bin hier fast allein. Am Anfang überhole ich ein Pärchen mit perfekter Outdoor Ausrüstung und schweren Stiefeln. Die beiden sind bestimmt 10 Jahre jünger als ich, er hat den Rucksack, sie schleppt ein schweres Stativ für seine Camera mit. Beide haben grosse Ferngläser umgehängt. Ich sehe sie auf der Wanderung nicht mehr wieder. Aber als ich fast die Baumgrenze erreicht habe, kommen mir fünf Leute entgegen: Oma, Opa, Sohn, Schwiegertochter und der Enkel ist noch keine zwei Jahre alt. Ich lache und sage: 'Die jüngsten haben die beste Kondition!' Und die Familie bestätigt es mir. Der Kleine kann noch kein Jahr laufen, aber er macht die Tour weitestgehend auf seinen eigenen Beinen mit.

Gegen 15:30 Uhr habe ich die Baumgrenze und das Schild erreicht, das auf den Loop um die Opal Hills verweist. Der Höhenmesser zeigt an, dass ich tatsächlich bis hier her 470 Meter hoch gestiegen bin. Jetzt führt der Loop wieder in den Wald hinunter. Auf keinen Fall werde ich auf diesen Rundkurs gehen, denn ein anderer Wanderweg führt weiter nach oben. Jetzt wird es ja erst richtig spannend: Herrliche Sicht auf die lange, schräge und fast ebene Flanke des Opal Peak. Die Farbe ist ganz eigenartig braun und sie ähnelt tatsächlich der Farbe des Boulder Opal. Was ist das für eine seltsame Bergflanke?

Es ist wieder eine nicht ganz so steil aufgestellte Schieferplatte. Allerdings nicht in Grau, sondern in Braun. Die Schichtung dieser Platte liegt genau nicht in der Ebene, in die diese Platte gekippt wurde, sondern hier hat ein Gletscher die Querrichtung des Schiefers bearbeitet und eine riesige Schutthalde hinterlassen.

Die ganze 6 bis 8 Kilometer lange Flanke des Opal Peak besteht aus kleinen, scharfkantigen Schieferplatten, höchstens so gross wie ein Markstück, zwei bis 5 mm dick und braun! Auf diesem braunen Schieferschutt wandere ich weiter nach oben.

 

Je höher man steigt, desto deutlicher ist zu sehen, dass es sich hier um das Trogtal eines Gletschers handelt. Er ist erst seit ein paar tausend Jahren verschwunden. In der Sonne geschmolzen und abtransportiert über den Maligne River. Am Fuss des Troges liegen zwei kleine Hügel, die Opal Hills, die man auf dem Loop umrundet.

Der Wanderweg zweigt nach rechts ab und hier hat man das erste Mal eine wirklich spektakuläre Sicht auf den Maligne Lake. Hier oben erwarten mich zwei junge Damen, denn sie möchten gerne gemeinsam auf ein Foto. Nichts leichter als das, aber vor welcher Kulisse soll das Bild gemacht werden? Hier hat man grosse Schwierigkeiten sich zu entscheiden, welche von den vier Himmelsrichtungen die beste Aussicht bietet. Mein Höhenmesser sagt, dass wir hier fast genau 600 Meter über dem Maligne Lake stehen. Den Damen reicht das und die Aussicht ist wirklich spektakulär ...

Ich aber wandere noch höher und bewundere immer wieder das Tal, das der Opal Gletscher hinterlassen hat. Ein einmaliges Bild! Ich erreiche die Vegetationsgrenze und suche mir einen windgeschützten Platz im Moos, von dem aus ich dieses unbeschreibliche Tal überblicken kann. Hier mache ich eine halbe Stunde Pause, es gibt etwas zu Essen und viel zu sehen. Es ist kalt, nur 14 Grad.

Noch weiter oben wächst nichts mehr und dort liegen Schneefelder, die manchmal aus der Ferne wie die Musterungen der schwarzweissen Orkas (Killerwale) aussehen. Als ich im ersten Schneefeld stehe, zeigt die Barometeruhr eine Höhe von 2.370 m an. Da drüben liegt der Opal Peak, weiss gestreift, durch den Schnee in den Abflusstälern seiner Flanke. Er ist 2.789 Meter hoch.Hier oben fotografiere ich und kann mich kaum satt sehen an dieser Rundumsicht.

Genau um 16:30 Uhr starte ich vom Schneefeld aus zur Rücktour. An der Baumgrenze wundere ich mich wieder, wie die Bäume mit einer Toleranz von plus/minus 10 Metern entscheiden, ob das Terrain für sie zum Leben geeignet ist, oder nicht. ‚Das ist eine hervorragende Idee !!', sage ich um 18 Uhr zu einer Frau, die barfuss über den Parkplatz läuft. Auch ich ziehe mir die Socken aus und steige barfuss in die Sandalen, die heute wieder die idealen Schuhe für diese Wanderung waren. Eigentlich hätte ich mir die Socken schon da oben ausziehen können.

Weil der Kaffee so schlecht war, kehre ich nicht noch einmal in das View Restaurant ein, wo es eine grosse Küche und einen noch grösseren Gift Shop gibt. Nein, ich fahre zurück, denn schon bei der Hinfahrt habe ich mich entschieden, dass ich heute nacht mein Haus am Nordende des Medicine Lake parken werde. Wer hat ein Grundstück mit einer solchen Aussicht !? Der ganze Medicine Lake liegt vor meinem Fenster. Links die hohe, graue Wand mit dem gezackten Grat und nur noch wenigen Sonnenflecken. Der markante Berg am Ende des Medicine Lake liegt noch voll in der Sonne. Auf der rechten Seite ist der Opal Peak zu sehen. Die braune Farbe ist aus 20 Kilometer Entfernung kaum noch zu erkennen. Es wird Abend. In einer halben Stunde kann ich ganz geruhsam den Sonnenuntergang von meinem Wohnzimmer aus beobachten.

Jürgen Albrecht, 23. Juno 2001, Jasper, CAN / 30.03.2002

BACK