BACK

Drama auf der kleinen Farm 3/3

Nach dem verspäteten Frühstück fahre ich mit dem alten Truck in den nahen Wald am Biber Teich. Mit Truck, Kettensäge und beim Feuerholz holen, kann ich mich am besten entspannen. Als ich anschliessend wieder in der Küche auftauchte, ist immer noch Arbeit und Hektik angesagt, diesmal aber mit dem mitgebrachten Fisch. Er wird in Gläser verpackt und mit grossen Schnellkochtöpfen eingekocht. 1 ½ Stunden Kochzeit sind eigentlich für Fisch viel zu viel. Aber vielleicht herrscht in canadischen Töpfen ein geringerer Dampfdruck, als in europäischen Schnellkochtöpfen. Der ganze Tisch steht voller Einweckgläser und Geschirr. Auf dem Herd zischen gefährlich zwei grosse Kochtöpfe, überall in der grossen Küche Fisch und kein Ende. Von Lunch keine Spur. Sam ist draussen auf dem Hof immer noch mit dem Putzen von Salmon beschäftigt. Morgen soll es Fish Steaks geben und morgen soll der Lachs auch in einem Zelt geräuchert werden. Lisa sitzt vor dem Fernseher und einem Videofilm, in dem Gorillas und andere Tiere mit Menschen heftig (in English) diskutieren. Eine stupide Story, die sogar Lisa ohne English Kenntnisse begreift und die nichts mit der Realität zu tun hat. Wie kann man solche idiotischen Filme produzieren und wer kauft sie?! Meine Mutter blättert in ihrem Dictionary, weil sie sich mit Louisa in der Küche verständigen muss. Die beiden verstehen sich gut, können sich aber vorerst nur mit Einwortsätzen unterhalten. Die Kommunikation wird sich in ein paar Tagen deutlich verbessert haben.

Ich füttere noch mal die Schweinebabys, die ganz munter sind. Das helle Ferkel nuckelt schon richtig an der Flasche, ist aber deutlich schwächer, als das dickere schwarze Ferkel. Das aber wehrt sich wieder vehement gegen das Füttern und man braucht Geduld und Gewalt, um ihm ein paar Kubikzentimeter Milch einzuflössen. Heidi hatte es vorher gar nicht geschafft. Aber sie hatte die hervorragende Idee, mit den Ferkeln noch mal zu dem Mutterschwein zu gehen. Das jedenfalls hat sie Louisa vorgeschlagen. Louisa war dafür, morgen wird das ausprobiert. Ich bin sehr skeptisch, ob das funktionieren wird, was die schlauen Frauen da vorhaben, aber was versteht ein Mann schon von der Mutterschaft??! Auf Anweisung von Sam ist Sheila mit dem roten Truck unterwegs. Sie soll endlich den Müll wegbringen. Diesen Auftrag hatte ihr Sam schon vor mehr als einer Woche von Alaska aus per Telefon erteilt. Aber sie ist um 14 Uhr schon losgefahren und um 18 Uhr immer noch nicht zurück. Da wird sie wohl 'auf Arbeit' sein (in den Ferien arbeitet sie abends im Kino). Unausgeschlafen, denn heute musste sie ihren Tagesablauf drastisch ändern.

Gegen 16:30 Uhr füttere ich mit Marc zusammen die Tiere. Für sie hat es kein Drama am Morgen gegeben, die Welt ist in Ordnung, denn es gibt Wasser und Futter und es regnet auch nicht mehr,

 

also kann man in der schönen Umgebung der Farm spazieren gehen und nach noch besserem Futter suchen. Auch die Turkeys wurden inzwischen wieder aus ihrem engen Stall befreit, aber ihr Gehege dürfen sie nicht verlassen. 'Turkeys laufen nicht frei auf dem Hof herum', mein Louisa. Warum nicht? 'Das vertragen sie nicht.' Wahrscheinlich bekommt ihnen das genau so schlecht, wie Regen. Louisa hat von Marc erfahren, dass ich gesundheitliche Probleme habe. Sie fragt, wie es mir geht. Ich beschreibe ihr die Symptome und sie meint: ' Probably you're coming down with a flue!?' Yes, das denke ich auch und ich hoffe, es wird besser und nicht schlimmer. Sie macht mir eine 'special indian medicine': Einen Tee, der nicht besonders gut schmeckt, aber vielleicht hilft. Weil Lisa inzwischen unten im Keller am Rechner sitzt und hübsche Bilder zum Ausmalen von der Page www.kika.de (der Kinderkanal des Deutschen Fernsehens) ausdruckt, frage ich Louisa, ob ich mal meine Emails checken kann. Ich fische einige Mails aus dem Netz und beschreibe in ein paar schnellen Sätzen an den Rest der Family in Germany, wie gut es uns hier geht. Dann steht schon wieder Lisa zappelnd hinter mir und will, dass ich diesen Platz räume. Das tue ich, denn auch ich habe jetzt keine Zeit mehr. Ich will noch einmal nach Elk-Point fahren. Es wird langsam Zeit, dass ich mich von meinen Schulkameraden verabschiede. Marc fährt mich hin, ohne Auto oder Schulbus ist das (mit dem Fahrrad!) sehr anstrengend, denn bis Elk-Point sind immerhin 23 Kilometer zu fahren.

Um 22 Uhr sind wir zurück und in der Küche ist immer noch heftig Betrieb. Der Fisch ist eingekocht, die Steaks und das Räuchern für morgen sind vorbereitet, aber jetzt ist noch ein riesiger Abwasch zu bewältigen. Heidi sitzt mit einem Ferkel auf den Knien hinter dem Kühlschrank, die Schweinchen lassen sich schon besser füttern, als am Vormittag. Das dunkle Ferkel hat auch schon das Nuckeln gelernt und das helle schlief beim Stillen ein, ganz wie ein menschliches Baby. Louisa kocht mir noch einen 'spirituellen Tee', den ich ohne zu Pusten möglichst heiss trinken muss. Nach einer Stunde Küchenarbeit verabschiedete ich mich in mein Bett. Ein langer Tag geht zuende und morgen geht die Hektik weiter: Morgen ist Schlachttag. Freunde der Farmers kommen zum Helfen. Viele Hühner, zwei Hasen, die Enten und wahrscheinlich auch meine besten Freunde, die Gänse, verlieren morgen ihr Leben. Alltag auf einer kleinen, ganz normalen Farm in der Prairie des westlichen Canadas.

Aber es gab am nächsten Tag auch einen Lichtblick: Louisa und Heidi brachten die Ferkel zum Mutterschwein. Die junge Mutter hatte sich offenbar vom Stress der Geburt erholt, begrüsste freudig (s.o.) und sehr umsichtig ihre beiden Babys, legte sich sofort hin und präsentierte ihnen das Frühstück!

Jürgen Albrecht, Jasper, CAN, 22. August 2001

BACK