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Arabella von Monkey Mia ... Seite 2/2

Aber vor ein paar Monaten ist James gestorben. Der ganze Schmerz bricht aus ihr heraus. 'Er hat mir versprochen, dass ich gehen darf zuerst, warum hat er mich gelassen alleine zurück?????!!' Sie waren offenbar ein völlig unterschiedliches Paar. James ein unterkühlter, sachlicher, vernünftig kalkulierender Geschäftsmann und Arabella der bunt schillernde Feuervogel, heissblütig, spontan, begeisterungsfähig, kommunikativ. Trotzdem kommen sie über 50 Jahre miteinander aus. Er macht Geschäfte und sie arbeitet nach den Kindern als Dolmetscherin. Sie spricht ausser English und Deutsch auch noch Französisch, Polnisch und Russisch und schon ziemlich betagt lernt sie auch noch Japanisch. Offensichtlich ist sie sehr sprachbegabt. Sie bereist mit James die Welt, sie gibt in Japan ein halbes Jahr Unterricht. Einen Zweijahresvertrag schlägt sie aus, obwohl ihr James zurät. Sie hält es in Japan ohne James trotz der sklavischen Freundlichkeit der Japaner nicht aus. Sie organisiert verschiedene Kurse: Lebensberatung in Krisensituationen. Ein Mix aus Psychologie, Esoterik, Religion und Lebenserfahrung. So einen Kurs hätte ich vor 20 Jahren mal besuchen wollen !!! Arabella muss faszinierend in ihrer Energie und Leidenschaft gewesen sein!

Jetzt ist ihr Lebensmut gebrochen. Kinder und Enkel haben diese Reise an die Westküste organisiert, reichen sie von Verwandten zu Bekannten weiter: 'Oma, Du musst unter Menschen!' Sie spricht über ihre Seminare, in der sie ihre Lebenserfahrungen weiter gereicht hat, gewonnen in der Ehe mit James. Lebhaft, mit grossen Gesten und überzeugend: 'Sex, wie herrlich ist Sex, aber was kommt danach? Eifersucht, natürlich sind Frauen eifersüchtig, aber was für ein schwerer Fehler das ist, es dem Mann zu zeigen! Jeder von uns hatte sein eigenes Leben, trotzdem haben wir auch ein gemeinsames Leben gehabt. James hat es nicht nur mit mir ausgehalten. Wir haben uns beide gegenseitig viel gegeben. Es ist ganz wichtig, dem anderen jede Freiheit zu lassen, die er braucht. Man muss ein eigenständiges Leben haben, sich nicht an den anderen dranhängen ...'

Ich werfe ein, dass ihr genau diese Überzeugungen doch jetzt über den Verlust von James hinweghelfen müssen. 'Jeder von uns hatte tatsächlich sein eigenes Leben, aber es ändert sich über Nacht, wenn der Partner plötzlich nicht mehr da ist. Natürlich braucht man Zeit, so einen Schlag zu verkraften. Aber es ist mir unbegreiflich, das Leben geht weiter, als wäre nichts geschehen...!'

 

Sie fängt fast an zu weinen. Das ist ihr grösstes Dilemma: Wie man mit Vernunft und Verstand mit dieser Situation umgeht, weiss sie. Aber ihre Emotionen machen nicht mit!

Sie fragt, wie lange ich schon in Australien bin. Warum ein ganzes Jahr in Australien? Warum gerade nach Australien? Frau, Freundin, Kinder, Beruf, wie sieht es heute in Deutschland aus ??? Alles interessiert sie, aber nur für die Zeit, in der sie diese Frage stellt. Jede Antwort, auch wenn es nur drei Worte sind, erzeugt sofort Assoziationen an James, an ihr Leben mit ihm. Eine Story wird in ihrem Gedächtnis mobilisiert und die muss erzählt werden. Sie ist so froh, dass ihr jemand zuhört. Ohne dass sie es merkt, mache ich mit meiner unauffälligen Kamera Bilder von ihr.

'Was ich Ihnen alles erzähle ... Entschuldigen Sie!' dabei legt sie ihre stark beringte Hand auf meinen Arm. 'Was ist schon dabei, wir trinken einen Kaffee zusammen, sprechen miteinander und werden uns nie wiedersehen!' 'Wenn es nicht unsere Bestimmung ist !!' Sie hat jetzt drei Stunden Zeit. Ihre Reisegruppe macht inzwischen einen Ausflug zur Pearl Farm. Ich bin sicher, es ist nicht unsere Bestimmung und zuhören will ich auch nicht mehr. Wenn sie doch auf meine Fragen nach den Juden, nach Hitler, nach Österreich, Jerusalem und Israel eingehen würde! Was für ein interessantes Leben! Aber man braucht Wochen, um es zwischen allen Geschichten um James aus ihrer Erzählung zu destillieren.

Dazu habe ich weder Lust noch Zeit, obwohl sie mich einlädt, sie an der Ostküste zu besuchen. 'Dort war ich 1998, aber dieses Jahr werde ich nicht bis nach Brisbane kommen', lüge ich. Auf dem Weg nach Sydney fahre ich dort vorbei, aber schon nach einer guten Stunde weiss ich, was mich bei einem Besuch erwarten würde. Ich verabschiede mich. Sie umarmt mich, sitzend am Tisch, Küsschen auf die linke Wange. Ich küsse formvollendet, natürlich im Stehen, ihre Hand.

Zwei Expresszüge rauschen aneinander vorbei. Schemenhaft sehe ich im Speisewagen des Gegenzuges eine alte Frau mit einem unmöglichen Hut sitzen. 'Was für ein Leben mag diese Frau gehabt haben?' denke ich für den Bruchteil einer Sekunde. Dann nimmt die ruhig vorbei gleitende Landschaft wieder meine Aufmerksamkeit in Anspruch.

Jürgen Albrecht, Denham, WA, 09. Februar 2000

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