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4. Was ist zu tun 5/5

Statistik

Araber, die dieses Essay lesen werden sagen: 'Man kann leicht über die Fehler der arabischen Welt reden, was aber ist mit den Fehlern des Westens? Ihr habt Probleme mit der gewalttätigen amerikanischen Politik.' Für die meisten Araber waren die Beziehungen zu den Vereinigten Staaten enttäuschend.

Während sich die arabische Welt aus der langen Umklammerung durch die europäischen Kolonialmächte löste, begannen ihre Enttäuschungen mit Amerika entscheidend mit der Gründung des Staates Israel im Jahr 1948. Zu einer Zeit, in der die Kolonien ihre Unabhängigkeit vom Westen gewannen, sahen die Araber, dass hier mit westlicher Rückenstärkung ein grosser Staat für Ausländer geschaffen wurde. Der Ärger vertiefte sich durch Amerikas Unterstützung für Israel während der Kriege von 1967 und 1973 und durch die Art der Behandlung der Palästinenser. Die tägliche Zurschaustellung von Israels gepanzerter Macht über die okkupierten Gebiete ist ein wesentlicher Grund der Desillusionierung der arabischen und islamischen Welt. Man sieht die Politik Amerikas in dieser Region als zynisch auf Amerikas Ölinteressen ausgerichtet an. Dafür werden ohne zu zögern auch Schläger und Tyrannen unterstützt. Schliesslich war die Bombardierung und Isolierung des Iraq die Ursache für tägliche Angriffe gegen die Vereinigten Staaten. Obwohl viele in der arabischen Welt Saddam Hussein nicht mögen glauben sie, dass die Vereinigten Staaten eine besonders inhumane Methode zu seiner Bekämpfung gewählt haben - eine Methode, die eine ganze Nation verhungern lässt.

Das sind, aus der Sicht eines Arabers, einige Gründe dafür, dass die amerikanischen Aktionen nicht immer als fair angesehen werden. Wie alle Staaten hat Amerika seine Interessen. Aus meiner Sicht sind die grössten Sünden Amerikas gegenüber der arabischen Welt, Sünden der Unterlassung. Wir haben es unterlassen, einige Regime zu drängen, ihre Gesellschaften zu öffnen. Im Falle von Afghanistan endete diese Unterlassung tödlich. Der Abzug aus diesem gebrochenen Land nach 1989 führte zum Erstarken von bin Laden und den Taliban. Das ist nicht der schlimmste Fehler, der einer grossen Macht unterlaufen kann, aber es ist ein gängiger Fehler Amerikas. Amerika war nicht gesinnungslos in der arabischen Welt, aber es war fahrlässig.

Aber Fahrlässigkeit ist nicht genug, um den arabischen Zorn zu erklären. Die Palästinenser sind das Herzstück des gesamten Problems. Warum haben ihre arabischen Brüder nichts für sie getan? (Sie können ausser in Jordanien sich nirgendwo ansiedeln und die Hilfe, die sie von den Golfstaaten erhalten, ist winzig.) Israel behandelt seine eine Million Araber als Bürger zweiter Klasse, eine Schande für seine Demokratie. Und doch zeigt das die Tragödie der arabischen Welt, denn Israel gibt ihnen trotzdem mehr politische Rechte und Würde, als sie die meisten arabischen Regime ihrem eigenen Volk gewähren. Warum ist der Ärger der Araber auf Israel fokussiert, und nicht auf diese Regime?

Die Klagen gegen Amerika sind im Zusammenhang mit der Demütigung, dem Rückschritt und der Verzweiflung entstanden, die in der Arabischen Welt um sich greift. Auch die Chinesen sind entschieden nicht einverstanden mit der amerikanischen Aussenpolitik und haben sich mit Verbündeten Amerikas angelegt. Die afrikanischen Staaten haben das gleiche Gefühl von Enttäuschung und Unfairness. Aber sie haben keinen Zorn auf Amerika entwickelt. Die Araber aber fühlen sich von der modernen Welt unterdrückt und Amerika symbolisiert diese Welt. Jede Aktion Amerikas verstärkt diese Gefühl tausendfach. Und auch wenn wir nichts tun ist das Gerede über unsere gigantische Macht und unsere ruchlosen Taten gegenwärtig. Die meisten Amerikaner können sich nicht vorstellen, was für eine schlechte Meinung man von uns überall in der arabischen Welt hat. Nur deshalb ist man auch bereit zu glauben, dass der CIA oder Israels Mossad das World Trade Center in die Luft gejagt haben, um Angriffe auf die Araber und die Muslime zu rechtfertigen. Das ist die Kultur, aus der die Selbstmordbomber gekommen sind.

Amerika muss jetzt eine Strategie entwerfen, um mit dieser Form von religiösem Terrorismus umzugehen. Es wird ein langer Krieg an vielen Fronten mit grossen und kleinen Schlachten sein. Unsere Strategie muss dreigeteilt sein: Militärisch, politisch und kulturell.

An der militärischen Front - hier meine ich Krieg, verdeckte Operationen und andere Formen von Zwangsmassnahmen - ist das Ziel ganz klar: Die totale Vernichtung von Al Qaeda. Auch wenn wir nie all die Gründe für diesen apokalyptischen Terror verstehen werden, wir müssen gegen ihn kämpfen. Jeder, der eine terroristische Operation plant oder unterstützt muss wissen, dass er verfolgt und bestraft wird. Ihre Operationen werden unterbrochen, ihre Finanzen ausgetrocknet, ihre Verstecke zerstört. Diese Strategie zu verfolgen wird Geld kosten, aber das spielt keine Rolle, wenn wir nur Erfolg haben. Nichts sonst ist erforderlich an der militärischen Front.

Die politische Strategie ist komplexer und ehrgeiziger. Auf breitester Front haben wir jetzt die Chance, das internationale System unter dem Eindruck der akuten, neuen Gefahr zu reorganisieren. Die Bereitschaft zur weltweiten Kooperation ist beispiellos. Wir sollten diesem Trend vertrauen. Die meisten Regierungen fühlen sich durch das Anwachsen subnationaler Kräfte wie Al Qaeda bedroht. Auch die, die den Terrorismus in der Vergangenheit klar unterstützt haben, wie Iran, scheinen ein Interesse daran zu haben, wieder in die Weltgemeinschaft zurück zu kehren und ihre Entwicklung zu reformieren.

Wir können eine Strategie für die Zeit nach dem Kalten Krieg definieren, die Amerikas nationale Sicherheit einschliesst und für die es einen breiten internationalen Konsens gibt. Indem wir das tun, werden wir einige Überbleibsel des Kalten Krieges aufgeben müssen. Die Allergie gegen Multilateralismus, die Annahme, China wird zu einem unserer militärischen Rivalen, oder auch die Befürchtung, dass Russland wieder als militärische Macht in Erscheinung tritt.

Der Vorschlag für eine internationale Koalition ist praktikabel und strategisch klug. Berücksichtigt man die Natur dieses (neuen) Krieges, benötigen wir die dauerhafte Kooperation anderer Regierungen, um Verhaftungen vorzunehmen, Schlupflöcher auszuheben, Bankkonten zu schliessen und um Unterstützergruppen aufzulösen. Politische Allianzen sind zum Gegenstand nationaler Sicherheit geworden.

 

Aber ein wesentliches Gebot ist zu berücksichtigen. Die Vereinigten Staaten dominieren die Welt in einer Weise, die zwangsläufig Neid, Ärger und Opposition hervorruft. Das ist die Folge unserer Macht und wir müssen einige Dinge unterlassen. Wenn wir unsere Macht maskieren - Sorry - indem wir mit solchen Institutionen wie dem UNO Sicherheitsrat zusammenarbeiten, sind die Vereinigten Staaten möglicherweise für viele auf der Welt leichter zu ertragen.

Nun zu Israel. Das ist offensichtlich eines der zentralen und brisanten Probleme dieser Region. Aber das ist ein Problem, dessen Lösung wir nicht den Arabern offerieren können - die Auslöschung dieses Staates. Wir können unter keinen Umständen unsere Verpflichtung für die Existenz und die Sicherheit Israels aufgeben. Ebenso können wir nicht von unserer Politik zur Isolierung Saddam Husseins abgehen. Er entwickelt Massenvernichtungswaffen.

Unsere Politik gegen Saddam hat versagt. Wir haben keine Inspektoren im Iraq, es gibt Sanktionen, hungernde Iraker und er setzt die Entwicklung chemischer und biologischer Waffen fort. Der Weg zur Neuorientierung unserer Politik muss darin bestehen, den Druck auf Saddam auszurichten und nicht auf sein Volk. Setzt ihn militärisch unter Druck, aber schadet nicht der Wirtschaft des Iraq allgemein. Eine schwierige Frage, was wir gegen Saddam tun können. Es gibt keine einfache Antwort. (Die Besetzung des Iraq, gesetzt den Fall, wir wären dazu in der Lage, scheint beim gegenwärtigen Klima keine gute Idee zu sein.)

Bei Israel sollten wir klar unterscheiden zwischen seinem Recht auf Existenz und seiner Besetzung der West Bank und des Gaza Streifens. Erstens sollten wir so unnachgiebig sein, wie immer, aber zweitens sollten wir die Bemühungen zu einer endgültigen Lösung auf der Linie weiterführen, die von Bill Clinton und Ehud Barak ausgearbeitet wurde. Wir sollten das nicht nur tun, weil es die Temperatur in der Arabischen Welt senken wird, sondern weil es richtig ist, das zu tun. Israel kann nicht eine Demokratie sein und gleichzeitig drei Millionen Menschen gegen ihren Willen unterdrücken und militärisch beherrschen. Das ist schlecht für Israel, schlecht für die Palästinenser und schlecht für die Vereinigten Staaten.

Aber politische Veränderungen, klein oder gross, sind nicht das Herzstück des bevorstehenden Kampfes. Die dritte, lebenswichtige Komponente dieses Kampfes ist eine kulturelle Strategie. Die Vereinigten Staaten müssen dem Islam helfen, in die moderne Welt einzusteigen. Das hört sich wie eine unerfüllbare Herausforderung an, aber wir haben keine andere Wahl. Amerika - und die ganze Welt - sehen sich einer schrecklichen Verunsicherung gegenüber, die nicht beseitigt werden kann, ohne dass wir den politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Zusammenbruch stoppen, der die Ursache des arabischen Zorns ist. Während des Kalten Krieges entwickelte der Westen Myriaden von Strategien, um das Ansehen des Kommunismus zu diskreditieren, die Demokratie attraktiv zu machen und um offene Gesellschaftsordnungen zu fördern. So etwas ähnliches müssen wir tun, um diese kulturelle Auseinandersetzung zu gewinnen.

Als erstes haben wir den moderaten arabischen Staaten zu helfen, aber unter der Bedingung, dass sie sich der Moderne zuwenden. Zu lange haben sich Regime, wie das in Saudi Arabien mit religiösen Extremisten eingelassen. Sogar Ägypten, das immer den Fundamentalismus angeprangert hat, erlaubt ihnen die Medien zu kontrollieren und besessen gegen Amerika und Israel zu wettern. (In einer Weise, wie sie gegen die Diktatur, unter der sie leben, nicht vorgehen.) Aber viel entschiedener müssen wir die moderaten Araber davon überzeugen, dass sie auf ihr Volk einwirken um den Leuten klar zu machen, dass der Islam durchaus mit einer modernen Gesellschaftsordnung kompatibel ist, dass es erlaubt ist, dass Frauen arbeiten, dass Bildung erstrebenswert ist und dass Leute mit anderem Glauben willkommen sind. Einiges davon werden sie tun - der 11. September war ein Weckruf für viele.

Das Regime der Saudis hat die Taliban verurteilt und die Beziehungen zu ihnen abgebrochen. (Ein Regime das sie benutzt haben, um einen rigiden Islam zu glorifizieren.) Die ägyptische Presse befürwortet militärische Aktionen. Die Vereinigten Staaten und der Westen sollten den eingeschlagenen Kurs weiterführen. Wir können moderate Muslime finanzieren, Gruppen, Gelehrte und Sendeanstalten mit frischem Denken. All das zielt darauf ab, die Macht des Fundamentalismus zu brechen.

Natürlich müssen wir Afghanistan beim Aufbau einer neuen politischen Ordnung unterstützen, sobald wir das Taliban Regime ausgeschaltet haben. Aber darüber hinaus haben wir auf die Nationen der arabischen Welt einzuwirken - und andere, wie Pakistan - sich zu öffnen, zu reformieren und Legitimation zu erlangen. Wir müssen mit diesen Regimen wirtschaftliche Beziehungen aufbauen, so wie wir es mit Südkorea und Taiwan während des Kalten Krieges getan haben. Für die, die argumentieren, wir sollten uns nicht bei der Entwicklung von Nationen (nation-building) engagieren würde ich sagen, Aussenpolitik ist keine Theologie. Ich bin selber skeptisch in dieser Sache gewesen. Aber wir haben keine andere Option, als zu diesem Geschäft (der nation-building) zurückzukehren.

Es sieht wie eine unlösbare Aufgabe aus, aber es gibt viele ermutigende Anzeichen. Al Qaeda ist nicht mächtiger, als die vereinigte Kraft vieler entschlossener Regierungen. Die Welt ist tatsächlich unter Führung Amerikas vereinigt und vielleicht erleben wir das Entstehen einer neuen, globalen Gemeinschaft, die uns auch in vielen anderen Bereichen der internationalen Beziehungen Fortschritte bringen kann. Am wichtigsten ist, dass der islamische Fundamentalismus nicht mehr die Meinung der Mehrheit der muslimischen Menschen zum Ausdruck bringt. In Pakistan haben die fundamentalistischen Parteien noch mehr als 10 % der Stimmen. Im Iran, der Erfahrungen mit dem brutalen Puritanismus der Mullahs besitzt, sehnen sich die Menschen nach Normalität. In Ägypten besitzen die Fundamentalisten trotz aller Repressionen eine potente Macht, aber sie ist nicht sehr dominant.

Wenn der Westen dem Islam helfen kann, in Würde und friedlich in die Moderne einzutreten, wird er damit mehr erreichen als nur Sicherheit. Die Welt wird verändert sein.

Fareed Zakaria in NEWSWEEK, October 15, 2001

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