BACK

Thompson Pass und Columbia Gletscher 3/3

Mit der Fähre nach Seward
Heute (17. Mai 2001) will ich mit der Fähre von Valdez nach Seward fahren. Das Office am Valdez Ferry Terminal war immer geschlossen, wenn ich in den letzten Tagen dort vorbeiging. Immer das gleiche Schild: 'Open Thursday'. Keine der vielen Reiseagenturen in Valdez war in der Lage, für mich ein Ticket zu buchen! Jetzt hängt ein anderes Schild an der Tür des Ferry Office: Open 2:30 PM. Die Fähre soll 4:15 PM abfahren. Was aber kann man Schilder glauben? Um 2:30 PM stehe ich vor dem Office und wieder ist es zu. Drei Leute warteten hier, sie sind gerade mit einer grossen Fähre angekommen, aber am Container Terminal. Sie bezweifelten, dass das dort liegende Schiff hier her kommen wird!

Ich greife zum Telefon, wählte die erste der im Fenster hier genannten Nummern. Man erklärte mir, ich sollte die zweite, kostenlose Nummer wählen. Dort lobt man die Fährlinie in den höchsten Tönen, beschreibt ihre Vorzüge und empfiehlt mir dringend, die WebPage www.state.ak.us/ferry (Adresse ist echt!) zu besuchen.

Ich fahre fünf Kilometer bis zum Container Terminal. Dort finde ich tatsächlich den schwer beschäftigten Chief des Office. 'Ja, das ist die Fähre nach Seward, aber wo ist Ihr Ticket? Tickets nur am Ferry Terminal!' Meine Einwände, dass dort das Office immer zu ist, verhallen ungehört ...! Es hilft nichts, ich muss zurück und mir in dem geschlossenen Office ein Ticket besorgen.

Um 15 Uhr bin ich zurück am Terminal. Das Office ist immer noch zu. Um 15:15 Uhr kommt der Manager angefahren und öffnet sein Büro. Mürrisch und unfreundlich setzt er sich an den Computer und fertig die vier Leute ab, die alle wesentlich geduldiger als ich gewartet haben. 205 Dollar werden mir wortlos mit der CreditCard abgenommen. Meine Frage nach Tarif und Ermässigung für einen armen Pensionär bescheidet er kurz: 'All one price.' Nicht mal abschreiben kann dieser Mensch: Ich sollte Name und Adresse aufschreiben und tat es in klaren Grossbuchstaben. Aber auf dem Ticket steht DRO117 BERLIH statt D-10117 BERLIN. Sehen so die unbegrenzten Möglichkeiten und das Organisationsvermögen der Amerikaner aus? Es muss intelligentere Leute in den USA geben. Mit diesem Bürovorsteher wäre man nie auf dem Mond gelandet.

Dann aber funktioniert alles (fast) reibungslos. Die Schwachstelle der Fähre ist die Einfahrt für Autos. Ein gewaltiges Nadelöhr: Wie kommen die Autos von der Breitseite aus in das Schiff und dort eine Etage tiefer?!? Das Schiff ist für den Zugang der Fahrzeuge von Bug und Heck konzipiert. Dafür aber existiert weder in Valdez noch in Seward ein Terminal. Also fährt man über eine Rampe durch die Breitseite in das Schiff. Dann geht es mit dem Fahrstuhl (er fasst 6 PKW) eine Etage tiefer. Dort wird der Fahrstuhlboden zur Drehscheibe und rückwärts muss man das Auto auf den Standplatz unter Deck manövrieren. Das alles würde ohne die Regieanweisungen der Staffs an Deck nicht funktionieren. Aber vor mir ist ein zwei bis drei Zentner schweres Mädchen mit einem Auto und einem Anhänger unterwegs. Aus dem Anhänger guckt ein bunt angemaltes Pferd, halb Apfelschimmel, halb Zebra und es hat vier lange, strahlend blaue Strümpfe an! Dieses Gefährt rückwärts zu bugsieren ist kein Kinderspiel und es dauert ...! Ist America doch das Land der unbegrenzten Möglichkeiten?

Alle Fahrzeuge werden am Standplatz vertäut, man muss das Fahrzeug während der Überfahrt verlassen. Also packe ich einen Rucksack und steige vier Etagen hoch. Niemand empfängt mich freundlich (wie beispielsweise die Lady, allerdings ohne Pferd, empfangen wird), denn natürlich habe ich keine Kabine gebucht. Zwölf Stunden muss ich auf mein bequemes Bett verzichten. Das fällt mir sehr schwer. Gerade hier an Bord merke ich, wie sehr ich mich schon in der kurzen Zeit an meine kleine Wohnung gewöhnt habe.

Es gibt viel Platz auf dem Schiff. Auf dem Sonnendeck haben einige Backpacker ihre Zelte aufgeschlagen. Es sind drei junge Leute und sechs bis acht ältere, davon die meisten Männer. Alle sehen so aus, als ob der Rucksack ihre ganze Habe ist. Ich reserviere mir hier eine Liege, habe aber meinen Schlafsack nicht dabei. Mal sehen, wie ich die Nacht verbringe. In dem grossen Restaurant genehmige ich mir erst mal Kaffee (aus dem Pappbecher, eine andere Variante scheint es in Amerika nicht zu geben) und Kuchen. Der Kuchen ist fast eine Hazelnut Torte, aber eben nur fast. Das kostet 3 Dollar und ist annehmbar, so wie auch die anderen Preise. Tee 75 Cent ... Bis ans Lebensende werden mich die 6,90 DM für den Tee in Amrum verfolgen.

Auf drei Decks kann sich der Passagier bewegen. Aussen jeweils eine umlaufende Aussichtsplattform, innen Aufenthaltsräume, Spielplatz für Kinder, Restaurant, Kabinen, ein Gift Shop und herrliche Toiletten. Sogar Duschen gibt es an Bord, alles aus Edelstahl und natürlich mit warmem Wasser. Ich entscheide mich für die Forward Observation Lounge, das ist ein grosser Raum unterhalb der Brücke, Sicht 180 Grad nach vorn.

Um 16:30 Uhr legt die Fähre ab und es beginnt eine herrliche Fahrt bei klarer Sicht und Sonnenschein. Valdez liegt an einem lang gestreckten Fjord .Der Hafen von Valdez, lückenlos umgeben von hohen, weissen Bergen, hat tatsächlich eine schmale Ausfahrt, die man von Land aus nicht sieht. Die Fahrt geht meistens durch solche Fjorde, selten über weites, grosses Wasser. Die Route nach Seward verläuft auf der Westseite des Prince William Sound.

 

Die Attraktion der Fahrt wird nach gut zwei Stunden erreicht: Der Columbia Gletscher. Es ist einer der grössten Gletscher dieser Erde und jeder, der im Prince William Sound unterwegs ist, kommt an diesem Gletscher vorbei. Eine separate Tour dort hin kostet von Valdez aus 109 $ und dauert 6 Stunden. Dieses Ausflugsschiff treffen wir hier. Ein entscheidender Grund, weshalb ich mich für diese Fahrt nach Seward entschieden habe: Ich kombiniere die Glacier Tour mit der Überfahrt und umgehe dabei auch noch 700 Strassenkilometer.

Die Schiffe halten respektvoll Abstand von dem seit der Eiszeit kalbenden Gletscher. Das hat seinen guten Grund, denn die See ist voller Eisberge. Meistens sind es kleine, aber es schwimmen auch 25 Meter lange Eisberge am Schiff vorbei. Wenn man weiss, dass man nur 10 % des Eisberges sieht, dann reicht schon so ein kleiner Eisberg aus, um der grossen Fähre, die immerhin mit 20 km/h fährt, mindestens ein paar Beulen beizubringen.

Dieses Eismeer im Sonnenuntergang zu sehen, ist wirklich ein Erlebnis. Ich wechsle ständig von der einen Seite des Schiffs zur anderen, um die besten Bilder nicht zu verpassen. Es ist kalt, die Nase tropft und die Finger sind klamm, aber mit Handschuhen kann man nicht fotografieren. Leider sieht man von der bis zu 80 Meter hohen Gletscherkante selber nur sehr wenig, sie ist mindestens 4 Kilometer vom Schiff entfernt.

Aber natürlich kann man auch eine Adventure Tour buchen: Man wird mit einem grösseren Schnellboot in dieses Eismeer gebracht und steigt hier in Kajaks um. Wie nahe man an den kalbenden Gletscher heranfährt, bleibt einem dann selbst überlassen. Schliesslich sind wir hier im freiesten Land der freien Welt und jeder kann und muss selbst entscheiden, was er aus und mit seinem Leben macht.

Nach dem Columbia Glacier ist es noch viele Stunden hell. Ich sitze auf einem erhöhten Standort in der Lounge mit der unvergleichlichen Aussicht. Beine hoch und Kopf (abgepolstert mit meiner warmen Mütze) an der Wand. Was ist das nur für eine schöne Welt!

Bis zum Sonnenuntergang gegen 22:30 Uhr immer das gleiche Bild: Hohe, scharfkantige und weisse Berge mehr oder weniger weit weg vom Schiff. Manchmal kommen sie bis zu 200 Meter an das Schiff heran. Meistens aber sind sie kilometerweit entfernt. Hohe Wolken über den von der Sonne angestrahlten Bergen. Dieses Weiss der Berge in der Sonne, das ist das legendäre 'Schneeweiss'. Noch nie habe ich dieses Weiss vor Alaska gesehen. Und dazu im Kontrast der Himmel in einer ganzen Palette von Blau. Das Weiss der Wolken ist nicht das 'Schneeweiss' der verschneiten Berge! Herrlich ruhige Bilder.

Aber nur die Aussenwelt ist perfekt. Über quäkende Lautsprecher laufen ständig Durchsagen. Ich höre nicht hin, mich interessiert das nicht und es ist sehr schwer verständlich. Aber dann ist mir so, als ob man den Driver meines Autos sucht! Kennzeichen EW .... aus BC! Soviel verstehe ich und das macht mich wach. Ich laufe zum Empfang und tatsächlich, man sucht mich! Allerdings nur um mir persönlich ans Herz zu legen, doch bitte um 3:30 Uhr im Auto zu sitzen, damit das Ausladen der Fahrzeuge reibungslos ablaufen kann. Seward ist natürlich nicht Endstation der Fähre.

Gegen Mitternacht lege ich mich auf eine der vielen gut gepolsterten Bänke, ein Stuhl für die langen Beine und ich habe ein perfektes Bett. Jetzt kann ich beruhigt bis 3:30 Uhr schlafen. Das schaffe ich aber nicht. Jede Stunde mache ich einen Rundgang. Die Berge bleiben die gleichen, die Sicht ist gut, das Schiff fährt in ruhiger See gleichmässig und nur mit wenigen, langwelligen Bewegungen. Auch in dieser Nacht ist immer noch etwas von der Sonne zu sehen. Die Intensität der Weissen Nächte aber nimmt natürlich in Richtung Süden ab. Die Bewölkung wird dichter, je näher wir Seward kommen.

Um 3 Uhr sind die Lichter von Seward zu sehen. Das Anlegemanöver dieses grossen Schiffes läuft in Zeitlupe ab (382 Ft lang, 85 Ft breit, Maximalgeschwindigkeit 16,75 Knoten ... was heisst das auf metrisch ? Gut, dass ich einen Taschencomputer mit einer Funktion 'Conversion' habe!). Dann wieder das so umständliche Ausladen der Fahrzeuge. Ich habe Glück, schon mit dem zweiten Schub, dem dicken Mädchen und dem bunten Pferd kann ich das Schiff verlassen.

Instinktmässig fahre ich nicht nach links, sondern nach dem Terminal rechts ab. Das war genau richtig. Links liegt Seward. Ich aber bin nach zwanzig Minuten in einer einsamen Gegend und in der Natur. Hohe weisse Berge und dazwischen ein breites Flussbett mit wenig Wasser und viel Holz. Dieser Fluss kommt vom Exit Gletscher, der nur ein paar Kilometer entfernt ist. Deshalb auch ist es kalt, um Null Grad. Hier kann ich übernachten und mir morgen früh ein Feuer machen. Es ist fünf Uhr und ich bin müde. Mit einer Wärmflasche lege ich mich ziemlich unterkühlt durch das unwirtliche Klima dieser Gegend ins Bett, werde warm und schlafe herrlich bis um 10 Uhr.

Jürgen Albrecht, am Portage Glacier im Dauerregen, 21. Mai 2001, 18.12.02

BACK

Die Abbruchkante des Columbia Gletschers