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Festgefahren im Talkeetna River 3/3

Gestreifte Berge am Summit Lake

Jetzt aber geht es zur Sache! Der Knecht des Abschleppers muss ins kalte Wasser, um den Haken (unter Wasser) an meinem Camper anzubringen. Es ist ein kleiner, dürrer Kerl. Er schleppt die Ketten durch das eisige Wasser, taucht bis zur Schulter nach unten und findet nichts zum Einhaken. Da muss der Abschlepper selber ran. Er zieht sich die Schuhe aus und macht professionell rechts und links an der Stossstange zwei Haken fest. Er entschuldigt sich: Das kann Schaden machen, aber es gibt da unten keinen Abschlepphaken. Eine Schande - was ist das für ein Auto ?!

Dann ist das Seil straff gezogen und es ist lang genug. Jetzt muss nur noch die alte Mühle anspringen. Das tut sie nur nach Motorklappe auf, schrauben, streicheln, gut zureden: Motor läuft. Ich sitze inzwischen wieder in meinem Auto, der Motor springt ohne zu zucken an. Es ist verabredet, dass ich mit Allrad unterstütze, soweit das möglich ist.

Das Seil strafft sich, der Camper bewegt sich, wir fahren langsam den ersten Meter und stehen im tiefen Wasser. Da kracht es laut und die Winde hat ein Problem. Aber nach kurzer Pause geht es weiter. Von Anfang an merke ich, wie meine Räder greifen. Als ich die Sandbank mit den Vorderrädern fast erreicht habe, wird die Winde angehalten, die Haken werden gelöst und ich fahre mit eigener Kraft durch den hier sehr tiefen Sand auf eine kleine Anhöhe voller Geröll. Hier oben bin ich erst mal sicher. Von hier aus schaffte ich es später mit meinem Allradantrieb auch noch durch die letzte, nasse, aber kurze Sandstrecke bis hinauf auf das rettende Ufer.

Das Volk jubelt! Jeder der vielen Beobachter hatte vorhin einen anderen Ratschlag parat und alle fühlen sich jetzt bestätigt. Der Abschlepper ist mit Recht stolz auf seine Leistung und sein lange abgeschriebenes, aber noch erstklassiges Fahrzeug. Mit Handschlag gratulierte ich ihm begeistert. Während sich der bibbernde Schmiermaxe mit der klitschnassen Hose trockenen Schuhe und Strümpfe anzieht, bekommt er für seinen ausserordentlichen Unterwasser Einsatz einen Zehner. Der Abschlepper ist mit 100 Dollar Cash zufrieden.

 

Wehe, wenn man bei so einer Gelegenheit nur die CreditCard oder Traveller Cheques zur Hand hat! Das Gerät wird eingesammelt, die Fahrzeuge setzen sich in Gang. Der erste Event dieses schönen Tages mit blendendem Wetter, ist um 12:45 Uhr gelaufen!

Natürlich war mir nicht gerade wohl bei dieser ganzen Aktion. Aber ich war immer davon überzeugt, dass sich der Schaden in Grenzen halten würde. Allerdings war es wirklich stressig, besonders weil ich auf Hilfe angewiesen war. Alles ist schwierig, was man nicht alleine bewältigen kann!

Jetzt ist mir auch klar, dass ein Fahrfehler von mir zu diesem 'Stucking in the River' geführt hat: Für ein Allradfahrzeug gelten die gleichen Regeln, die ich nach den langen Sanddurchfahrten auf dem Weg nach Birdsville, Simpson Dessert, WA, schon aufgeschrieben habe: Wer zu langsam fährt oder sogar stehen bleibt, der hat im Sand verloren! Wäre ich die Sandstrecke nicht im Schleichgang gefahren, ich hätte problemlos diesen sandigen Fluss durchquert. Hinterher ist man immer schlauer.

Die Leute von Talkeetna waren alle ausserordentlich freundlich und hilfsbereit, natürlich auch weil allen klar war, dass man bei dieser Gelegenheit ein paar zusätzliche Dollars verdienen kann. Rich war weder im historischen Hotel noch in den Strassen von Talkeetna aufzufinden. Wahrscheinlich teilte er sich an der Bar die unverhofften Dollars mit seinem Kumpel. Dessen Erscheinen war trotzdem nützlich, denn ohne seine Ketten, wäre das Seil zu kurz gewesen ...!

Nach dem glücklichen Ende der Aktion hatte ich seltsamer Weise nur einen einzigen, aber unmächtigen Wunsch: Talkeetna und diesen River mit der unvergleichlichen Aussicht so schnell wie möglich hinter mir zu lassen! Deswegen suchte ich nicht länger nach Rich, sondern fuhr schnurstracks zum Highway Nr. 3 und von dort aus nach Norden. Erst um 15 Uhr machte ich eine Pause und hielt einen wohlverdienten Mittagsschlaf. Nach einem Kaffee aber fuhr ich noch 1 ½ Stunden weiter bis zum Pass nahe dem Summit Lake bei Cantwell. Diese wunderbare Strecke mit der berauschenden Aussicht auf die wie Zebras schwarzweiss gestreiften Berge der Alaska Range, hat meine Nerven besänftigt. Der Stress verwandelte sich in Wohlbefinden. Ist das herrlich, wenn man sich aus einer solchen Zwangslage wieder befreit hat!

Jürgen Albrecht, Denali Park, 29. Mai 2001

19. Januar 2002

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