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Regen und Sonne am Portage Gletscher 4/4

Als das Schiff ablegt, steht die Sonne klar am Himmel. Es gibt Wolken, aber die weissen Gipfel der Berge sind frei. Der See ist hier eisfrei. Der gestrige Sturm hat alle Eisberge vor das Visitor Center geblasen. Der Captain nimmt Kurs auf das andere Ufer und dort geht es nahe an den vom Gletscher teilweise stark und deutlich abgeschrammten Felswänden auf den Gletscher zu. Ein ziemlich grosser Eisberg zwischen Schiff und Felswand. Herrlich verzerrte Spiegelbilder auf dem Wasser. Das sind die Fotos, die ich liebe!

Der Gletscher ist vom Visitor Center überhaupt nicht zu sehen, weil der See kurz vor dem Gletscherabbruch eine Biegung macht. Oben in den Bergen sieht man schon den Gletscherfluss, dann taucht ziemlich plötzlich und unerwartet hinter einem Felsabhang die Gletscherzunge auf. Ein herrliches Bild in der Sonne. Die Abbruchkante ist 30 bis 40 Meter hoch. In der Mitte ist ein Felsen zu sehen, der hier auch nach 30.000 Jahren immer noch dem Gletscher trotzt. Die Oberfläche des Gletschers wird über der Abbruchkante in Spalten und Klüfte zerrissen. Hier ist der Gletscherfluss nicht mehr gleichförmig. Auf einer Breite von mindestens 200 Metern eine zerborstene Eisbarriere, aus der auch immer mal ein grosser Block ins Wasser fällt. Links neben dem Gletscher ein glattes, weisses Schneefeld, hoch bis zum Gipfel dieses Berges. Chaos und Zerstörung neben Harmonie und Ruhe ... so dicht nebeneinander und so beeindruckende Bilder!

Die zwei Busladungen verteilen sich gut auf dem Schiff. Nur die Hälfte der Leute steht auf dem Oberdeck, man muss sich nicht an der Reling drängeln. Viele der Leute sitzen die ganze Fahrt unter Deck mit dem unvermeidlichen Thermos-Kaffeebecher in der Hand. Es sind durchweg Amerikaner. Ich habe bisher weder in Canada noch in Alaska Europäer oder Asiaten als Touristen getroffen. Erstaunlich. Die meisten auf dem Oberdeck haben Kameras. Nicht einer hat eine Digitalcamera, vielleicht sechs der vielen Leute haben eine Video Camera.

 

Viele sind dick, unförmig und ohne jeden Geschmack angezogen. Alle sind weiss, kein Indianer, kein Afrikaner, kein Asiate, alle sind alt. Nur ein Enkelkind ist dabei, ein vielleicht 10 Jahre alter Junge. Zwanzig Minuten steht das Schiff vor dem Gletscherabbruch und wechselt immer mal die Position. Ich kann es überhaupt nicht fassen: Gestern so ein Sauwetter und heute diese strahlende Sonne! Herrliche Wolken und das unbeschreibliche 'Schneeweiss' der Berge. Ich habe eben wieder mal richtiges Schwein gehabt. Es hat sich wirklich gelohnt, dass ich hier 24 Stunden gewartet habe.

Nach einer Stunde sind wir zurück. Herrliche Bilder im Kopf, das war eines der beeindruckendsten Erlebnisse bisher in Alaska! Es hat alles gepasst: Sonne, Schnee, Wasser, Eisberge, Gletscher ... Aber ohne Sonne wäre es längst nicht das Erlebnis gewesen, das ich hier und heute hatte.

Und das Erlebnis ist noch nicht zu Ende! Gegen 12 Uhr sitze ich im Auto und fahre auf den Seward HWY in Richtung Anchorage. Die Strasse führt am nördlichen Ufer des Turnagain Arms entlang. Ich bin inzwischen mit Superlativen vorsichtig geworden, aber dieses Stück des Seward Highway bis 20 Kilometer vor Anchorage ist wirklich spektakulär! Man sieht die schneebedeckten Berge auf der Gegenseite und gleichzeitig ihre Spiegelung im Turnagain Arm (s.u.). Frisches Frühlingsgrün, Birken, grüne Wiesen und die ersten Blumen. Das ist eine herrliche Fahrt! Aber auch diese Fahrt sieht bei Regen, schon bei bedecktem Wetter, völlig anders aus. Auch bei Sonne zu unterschiedlichen Tageszeiten sind ganz andere Bilder zu sehen. Also: Wer nach Alaska kommt, dieses Stück Seward Highway von Anchorage zum Portage Glacier sollte man sich nicht entgehen lassen!

Noch eine letzte Bemerkung: Mr. Seward war Aussenminister der USA und er hat im Jahre 1867 das Kunststück fertig gebracht, den Russen Alaska für 7,2 Mio. US $ abzukaufen!

Jürgen Albrecht, Anchorage, 23. Mai 2001

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