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Hoffen auf Intuition oder systematisches Vorgehen?
Problemlösende Kreativität mit System
   
Der Widerspruch

Hochwertige kreative Lösungen im Bereich der Technik und der Wissenschaft erforderten stets - und erfordern noch heute - Phantasie und Intuition. Allerdings sollte der Kreative nicht einfach „ins Blaue“ hinein arbeiten, sondern unbedingt die Möglichkeiten nutzen, die ihm von den modernen Kreativitätsmethoden  eröffnet werden. Der Widerspruch zwischen den Begriffen „Intuition“ und „Systematisches Vorgehen“ erweist sich dann als scheinbarer Widerspruch. Viele Kreative wissen inzwischen, dass methodische Hilfen nicht etwa die Kreativität ausschalten, sondern sie vielmehr auf in besonderem Maße Erfolg versprechende Lösungen lenken.

Glücklicherweise sind wir heute nicht mehr auf Zufälle oder den so genannten „göttlichen Funken“ angewiesen. In den letzten Jahrzehnten wurden beispielsweise die Methoden des Brainstorming, der Morphologie, der Bionik und der Synektik zu einem beachtlichen Stand entwickelt. Jedoch arbeiten diese in der Kreativitäts-literatur und in den einschlägigen Seminaren bevorzugten Methoden nicht genügend systematisch. Das intuitive Element wird überbetont, und die Fülle der so erzeugten Ideen führt - insbesondere beim Brainstorming - zu einem neuen Problem: bin ich - auch bei Anwendung einschlägiger Bewertungsverfahren - wirklich sicher, die allerbeste Idee für die weitere Bearbeitung ausgewählt zu haben? Wünschenswert wäre demnach eine komplexe Methode, die - nach gründlicher Analyse der zu lösenden Aufgabe - nur wenige, dafür aber garantiert hochwertige, gewissermaßen bereits vorgeprüfte, unmittelbar zielorientierte und praxistaugliche Ideen liefert.

 

Altschuller: Theorie zum Lösen erfinderischer Aufgaben (TRIZ)

Es gibt einen Denkansatz, der verlässlich - gleichsam auf einem Leitstrahl - von der richtig gestellten Aufgabe zum annähernd idealen Resultat führt. Diese noch immer kaum bekannte Methode beruht auf dem „Algorithmus zur Lösung erfinderischer Aufgaben“ (ARIZ) nach G.S. Altschuller, von ihmweiter entwickelt als „Theorie zum Lösen erfinderischer Aufgaben“ (TRIZ). Definiert wird dabei zunächst das angestrebte Ideale Endresultat, sodann werden die Widersprüche formuliert, welche auf dem Weg zum Ideal zu überwinden sind, und schließlich werden verlässliche Lösungsstrategien (Prinzipien zum Lösen Technischer Widersprüche) eingesetzt. Entscheidend ist die Widerspruchsformulierung, denn eine jede - durch Optimieren nicht lösbare - hochwertige Entwicklungsaufgabe ist mit einer paradoxen Forderung verknüpft: etwas muss da und dennoch nicht da, heiß und zugleich kalt, offen und dennoch geschlossen sein (konventionelle Antwort: „Das geht nicht“). Über eine Matrix werden nach Altschuller die zur Lösung des zunächst unlösbar erscheinenden Widerspruchs tauglichen Prinzipien ausgewählt. Jedes Prinzip ist mit vielen Beispielen aus den unterschiedlichsten Fachgebieten belegt, extrahiert aus Zehntausenden Patentschriften. Die kreative Tätigkeit des Erfinders besteht nun in der „Übersetzung“ eines geeigneten Beispiels zwecks Schaffung eines im eigenen Fachgebiet neuen, in anderen Gebieten aber durchaus nicht neuen Mittel-Zweck-Zusammenhanges. Außer den Prinzipien zum Lösen Technischer Widersprüche verfügt die Methode noch über weitere verlässliche Strategien: Standards zum Lösen von Erfindungsaufgaben, Physikalische Effekte, Stoff-Feld-Regeln, Separations-prinzipien zum Trennen bzw. Vereinigen einander anscheinend ausschließenden erfinderischen Forderungen. Inzwischen gibt es moderne Computerprogramme zum TRIZ-System, die sich jedoch erfahrungsgemäß nur nach Erlernen bzw. Verinnerlichen der zugrunde liegenden Denkweise optimal nutzen lassen.

Wir erkennen, dass es sich offensichtlich nicht nur um eine Erfindungs- sondern auch um eine übergreifend gültige bzw. universell nützliche Denkmethode handelt. Hauptziel ist das Vermeiden von - häufig faulen - Kompromissen: gewöhnlich wird an einer Kennziffer ein bisschen herumverbessert, wobei nicht selten andere - ebenfalls wichtige - Kennziffern auf Kosten der „verbesserten“ Kennziffer auf der Strecke bleiben. Methodischer Kernpunkt von TRIZ ist deshalb das Widerspruchsdenken: es sichert, falls ein System weiß und schwarz zugleich zu sein hat, dass nicht etwa grau herauskommt. Wir erkennen, da es sich hier nicht um logische Widersprüche handelt, sehr deutlich die Nähe zur Hegelschen Dialektik (These, Antithese, Synthese). Dies wiederum erklärt die enorm anregende Wirkung einer derartigen Betrachtungsweise: viele Beispiele auf hohem (sinngemäß erfinderischem) Niveau finden sich in künstlerischen Darstellungen. Insbesondere gilt dies für Karikaturen. Deren Wirkung beruht geradezu auf der ungewöhnlichen Verknüpfung an sich ganz gewöhnlicher Sachverhalte, d.h. letztlich auf der Darstellung einer unkonventionellen Lösung dialektischer Widersprüche. Wir erkennen hier übrigens auch die Nähe zu ungewöhnlichen - und damit besonders wirksamen - Werbebotschaften.Im Manage-ment dürften über das Konventionelle hinaus gehende, wirklich neue Lösungen wohl ebenfalls nur über eine solche Denkweise zugänglich sein.

 

Vorschlägen zur Verbesserung dieser Methodik

Die Altschuller-Denkweise wurde in den letzten Jahren von vielen Autoren weiter entwickelt. Stellvertretend genant seien Terninko, Zusman und Zlotin, Linde und Hill, Herb, Herb und Kohnhauser, Livotov und Petrov, Orloff  sowie Zobel. Letzterer hat inzwischen eine Reihe von Vereinfachungen, Ergänzungen, Erweiterungen, Veränderungen und Vorschlägen zur Verbesserung der Methodik eingebracht. Sie seien hier kurz zusammengefasst:

  • Aufbau einer Hierarchie der Prinzipien zum Lösen Technischer Widersprüche: Universalprinzipien - minder universelle Prinzipien - für bestimmte Fachgebiete anwendbare Lösungsvorschläge.
  • Neue Sicht auf die Umkehr- und die Analogieeffekte. Nachweis methodischer Defizite bei Spitzenwissenschaftlern und berühmten Entdeckern. Praktische Empfehlungen zum generellen Einsatz des Umkehrprinzips sowie zum systematischen Denken in Analogien.
  • Ausweiten der von Altschuller ursprünglich überwiegend maschinentechnisch orientierten Beispielsammlung auf die Gebiete Chemische Technologie sowie Medizin und Medizinische Technik.
  • Wichtige TRIZ-Bausteine als Elemente übergeordneten Denkens. Beispiele aus den Gebieten Literatur, Karikaturen, Aphorismen und Werbung. TRIZ als universelle Denkmethode. 
  • Ein bisher noch nicht beschriebenes, universell gültiges Gesetz der Entwicklung Technischer Systeme:

 

Ein universell gültiges Gesetz der Entwicklung Technischer Systeme

Zitat D. Zobel: [A]
"Die Funktionsfähigkeit eines Systems wird primär nicht durch konstruktive Gesichtspunkte,
sondern durch die sich aus dem Verfahrens-Funktions-Prinzip ergebenden Notwendigkeiten bestimmt".

  • Denkfelder und Ideenketten: Beispiele zur systematischen Mehrfach-Anwendung ein und desselben Physikalischen Effekts für analoge Lösungen auf sehr verschiedenartigen Gebieten. Verbindenden Gemeinsamkeit ist die Nutzung des „Von Selbst“-Prinzips.
  • Sieben Elementarverfahren, anwendbar sowohl in der systemanalytischen wie auch in der systemschaffenden Phase.
  • Vorschläge zur sinnvolleren Nutzung der „klassischen“ Kreativitätsmethoden unter Einsatz der TRIZ-Denkweise.
  • Anleitung zum Formulieren von Patentschriften unter konsequenter Verwendung der widerspruchsorientierten TRIZ-Terminologie.  Standardfor-mulierungen für eine erfolgreiche Patentanmeldung.
  • TRIZ-basierte Fragen als Instrumente zum Bewerten aktueller Verfahren und Produkte, zum Beurteilen der Güte von Projekten sowie zum Bewerten des Niveaus neuer Lösungen.
  • Ein großer Erfinder aus Sicht des Methodikers: die Arbeitsweise des Leichtbau- und Flugzeugpioniers Hugo Junkers.

    

Literaturquellen

G. S. Altschuller, Erfinden – (k)ein Problem ?  Verlag Tribüne, Berlin 1973

G. S. Altschuller, Erfinden - Wege zur Lösung technischer Probleme, Verlag Technik, Berlin 1984

D. Zobel, Erfinderpraxis - Ideenvielfalt durch Systematisches Erfinden, Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin 1991

H.-J. Linde u. B. Hill, Erfolgreich erfinden - Widerspruchsorientierte Inno-vationsstrategie für Entwickler und Konstrukteure, Hoppenstedt Technik Tabellen, Darmstadt 1993

J. Terninko, A. Zusman u. B. Zlotin, TRIZ – Der Weg zum konkurrenzlosen Erfolgsprodukt. (Hrsg.: R. Herb). verlag moderne industrie, Landsberg/L. 1998

R. Herb, T. Herb u. V. Kohnhauser, TRIZ - Der systematische Weg zur Innovation, verlag moderne industrie, Landsberg/Lech 2000

M. OrloffMeta-Algorithmus des Erfindens, TRIZ - Kurs für Profis. Lege Artis M&V Orloff GbR, Berlin 2000

D. Zobel, Systematisches Erfinden - Methoden und Beispiele für den Praktiker. expert-verlag renningen, 1. Aufl. 2001, 2. Aufl. 2002, 3. überarbeitete und erweiterte Aufl. 2004, 4. durchgesehene Aufl. 2006, 5. vollständig überarbeitete und erweiterte Aufl. 2009, , ISBN 978-3816929390.

P. Livotov u. V. Petrov, TRIZ Innovationstechnologie, Produktentwicklung und Problemlösung. Handbuch, TriSolver Cosulting, Hannover 2002

D. Zobel [A], Erfinderpraxis - Ideenvielfalt durch Systematisches Erfinden. Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin 1991.

D. ZobelKreatives Arbeiten. Methoden - Erfahrungen - Beispiele. expert-verlag renningen 2007

D. Zobel u. R. Hartmann, Erfindungsmuster. TRIZ: Prinzipien, Analogien, Ordnungskriterien, Beispiele, expert-verlag renningen 2009.

D. Zobel, TRIZ FÜR ALLE. Der systematische Weg zur Problemlösung. expert-verlag renningen, 1. Aufl. 2006, 2. Aufl. 2007, 3. Aufl. 2011, ISBN 978-3816925781.

 

Autor: Dietmar Zobel

Siehe auch: http://www.dietmar-zobel.de/

 

Jürgen Albrecht, 20. September 2014
update: 21.09.2014

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