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Gefährliche Abenteuer mit Charly 2/2

 


Voraus an der Ostecke der Insel sieht man ein übles Felsenriff. Charly umschifft es in respektvollem Abstand, dann aber müssen wir nach rechts, auf die Westseite der Insel, wo schon Häuser und die Beach zu sehen sind. Kursänderung um 90 Grad nach Steuerbord.

Schlagartig merken wir jetzt, was hier für eine steife Brise weht. Mein Hut, der mir bei 60 km/h auf dem Motor Bike nicht vom Kopf geflogen ist, wird mir jetzt als erstes vom Kopf gerissen (vorsorglich habe ich ihn mit einem Riemen gesichert!). 'Raus auf den Ausleger!' ... 'Leine!' Charly schreit Befehle gegen den Wind. Charly im Stress. 'Weiter raus!!' Weiter geht nicht, ich hocke schon am Ende des rechten Auslegers. 'Tief halten! Leine!!' Mit der linken Hand halte ich mich an der Leine, mit der rechten an eine dünne Wante (Perlon-Draht) fest. Mit den Füsen stemme ich mit auf den Balken des Auslegers. Wir segeln jetzt in Richtung der Wellenkämme und sie brechen sich an den Auslegern und am Schiffsrumpf. Wellen überrollen das kleine Schiff. Durch Charlys Luke läuft Wasser ins Boot. Ich sitze im Fahrstuhl, zwei Meter hoch und runter, der Ausleger gegenüber zeitweise einen Meter unter Wasser.

Charly kämpft mit den Böen. Die Fock ist immer festgeklemmt (!) und Charly muss den gesamten Winddruck aufbringen um sie zu lösen. So kann man nicht schnell genug reagieren. Als mir klar wird, dass hier die Böen so stark sind, dass sie das Schiffchen allein mit dem Vorsegel umblasen können, trifft mich frontal ein Brecher. Ein Kubikmeter Wasser kommt von vorn, für Sekunden bin ich unter Wasser und zwei Zentner schwer. Aber ich habe mit beiden Händen festen Halt. Der Brecher war nicht schwer genug, um mich vom Ausleger zu reissen. 'Festhalten!', schreit Charly. Was für ein guter Ratschlag in dieser Situation. Jetzt bin ich völlig nass und will wenigstens noch meine Camera retten. Ich reiche sie zu Charly rüber, als gerade mal kein Brecher kommt. Er steckt sie unten im Schiff in einen Eimer (Wäschebeutel und Wasser).

Charly segelt so hart wie er kann vor dem Wind. Ich hänge ungesichert auf dem Ausleger und kassiere eine Sturzwelle nach der anderen. Charly fährt weit raus auf Negros zu in der Hoffnung, nach der Wende die Beach auf der Südseite von Apo Island zu erreichen. Wir machen eine Halse (Wende geht auch nicht mit Fock) und versuchen wieder hart am Wind (ich auf dem anderen Ausleger) die Beach zu erreichen. Bald gibt Charly auf: Das Boot ist allein mit der Fock nur sehr eingeschränkt zu manövrieren. 'Wir müssen nach Negros!', schreit er mir zu. So sehe ich das auch. Es ist unsere einzige Chance, wieder an Land zu kommen. Bei diesem Wind das Grosssegel hochzuziehen, ist Illusion. Ein Aussenbordmotor könnte uns helfen, aber den gibt es auf diesem Schiffchen nicht.

Es ist 13:30 Uhr als wir Kurs auf Negros nehmen. Die Küste ist in der Ferne gut zu sehen. Wieder ein Ritt längs zu den Wellen. Ich hänge pitschnass als Ballast auf dem Ausleger und Charly segelt so hart wie möglich am Wind, damit wir nicht zu weit nach Süden abtreiben, dort ist nämlich Negros bald zuende! Nach einer knappen Stunde erreichen wir ruhigeres Wasser und halten nach einem flachen Landeplatz Ausschau. Ein paar Kilometer nordwestlich des Bonbonon Point gehen wir um 14:20 Uhr an Land. Gleich sind wir von vielen Leuten umringt. Die Kinder beäugen uns verwundert und scheu, wie die ersten, gerade gelandeten Spanier. Bald aber helfen uns alle, das Schiff hoch auf den Strand zu ziehen.

Meine erste Sorge gilt der Camera: Die Tasche ist nass, innen feucht, aber die Camera funktioniert! Nach den Fotos von unserer Landung lege ich die Camera zum Trocknen in die Sonne. Erst danach ziehe ich zittern die nassen Klamotten aus. Wie bin ich auf die Idee gekommen, eine Fleeke Jacke mit Kapuze in die Tropen mitzunehmen? Als eine der wenigen Wäschestücke ist sie trocken geblieben. Sie macht mich schnell wieder warm, denn inzwischen scheint auch die Sonne. Leider vergesse ich in dem Trubel, die Koordinaten von unserem Landepunkt mit dem GPS zu vermessen.

Nachdem das Schiff gesichert ist und sich die Einheimischen schon nicht mehr für uns interessieren, frage ich Charly, wie er diesen Trip einschätzt:
'Nahe am Materialbruch!'
'Und was hast Du jetzt für eine Strategie?'
'Na ja, wir übernachten hier irgendwo. Fischer sind freundliche Leute. Morgen sehen wir mal, was für ein Wetter ist und dann segeln wir nach Apo Island!'
'Morgen ist der dritte Tag unseres Trips, und da will ich wieder in Alona Beach sein!'
'Kein Gedanke! Du denkst wohl, bei solchem Wind ist man in drei Stunden in Siquijor, aber auch genau so schnell wieder zurück?! Beim Segeln weiss man nie, wann man wieder nach Hause kommt! Ausserdem war doch von drei Tagen nie die Rede!'

Ich sage Charly deutlich, was ich von seinen Segelkünsten halte: Crazy Charly der Segler, der sein Handwerk nicht versteht: Er geht unprofessionell und buchstäblich blauäugig auf so einen Segeltörn und überschätzt sich und sein simples Boot. Die Gefährlichkeit von Wetter, Wind und See kann er nicht realistisch beurteilen. Schon bei relativ wenig Wind kann man vom Ausleger gerissen werden, es gibt keine Sicherung. Wer bei solchem Wetter über Bord geht, hat kaum Chancen, wieder aufgefischt zu werden. Er ist in der bewegten See schnell nicht mehr zu sehen und das Boot ist alleine mit der Fock weitestgehend manövrierunfähig. Besonders erbost bin ich darüber, dass mir Charly vorher nicht glasklar gesagt hat, was mich auf so einem Trip erwartet. Sieht so das 'Blauwassersegeln' aus, von dem er immer schwärmt? Ich frage mich was passiert wäre, wenn sich das Pärchen aus Berlin auch noch auf dem Ausleger an der einen Leine festgeklammert hätte?! Als ich das Charly später frage, entgegnet er lakonisch: 'Die Leine hält!'. (Man sieht dieses flache, schwarze Band auf Bild Nr. 2 im Winde flattern.)

'Was habe ich aus Deiner Sicht falsch gemacht?', fragt Charly.
'Bei Apo Island hast Du alles richtig gemacht. Wir hatten keine andere Chance. Aber Du hättest bei diesem Wind in Siquijor nicht starten dürfen. Spätestens als wir noch Sicht auf Siquijor hatten, hättest Du das merken müssen.'
Darauf Charly: 'Das sehe ich nicht so.'

Um 15:30 Uhr verabschiede ich mich von Charly. Ich habe keinen Survival Trip mit ungewissem Ausgang gebucht und auch keine Lust, noch ein paar Tage klitschnass als Ballast auf dem Ausleger zurück zu kreuzen. Charly steuert das Boot sowieso alleine, er hat genug Geld dabei und Zeit spielt für ihn keine Rolle. Für die Rückfahrt werde ich nicht zwingend gebraucht. Mein letzter Segeltrip mit Charly ist beendet.

Auf der nahen Strasse halte ich den ersten Bus an, der vorbeikommt. Er bringt mich nach Dumaguete City. Mit einem Tricycle fahre ich zum Hafen und erreiche dort die Fähre um 17:30 Uhr nach Manila, sie fährt über Tagbilaran. Ein freundlicher Taxifahrer liefert mich um 21:30 Uhr vor Sun Apartelle ab.

Nie habe ich mein 'Luxury Apartment' mehr genossen, als an diesem schönen Abend! Auf Irinas Geheiss bereiten die Staffs aus Aloe-Blättern eine Lotion, die ich auf meine glühend roten Oberschenkel auftrage: Herrliche Kühlung für den Sonnenbrand. Ich hatte eine lange Hose griffbereit, aber es war keine Zeit, die Hosen zu wechseln ...!

Bilder von diesem Trip

Charly tauchte nach acht Tagen am 19.03.03 mit seinem Segelboot wieder an der Alona Beach auf.
Er hatte drei Filipinos aus Negros dazu überredet, als Ballast auf dem Ausleger mit ihm zurück zu segeln.

 

Jürgen Albrecht, 16. März 2003

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