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Trekking unter dem Annapurna

 

 

 

 

 

 

 

 

START
ZUM ANNAPURNA

19. März 1997, Mittwoch, Tirkhedhunga

 

 

Ich habe nicht sehr gut geschlafen, ohne Schlafsack war es kalt. Nachts holte ich mir eine zweite Decke vom Bett nebenan. Gegen 5:30 merkte ich, daß es sehr hell und klar ist. Um 6 Uhr stehe ich auf und gehe im Hemd auf den Balkon: Sonnenaufgang, klare Sicht. Ich laufe auf die andere Seite des Hauses (umlaufender Balkon): DAAAH sind die Berge !! Aber was da für Klopper in der Morgensonne liegen!! Am auffälligsten ist der Machhapuchhare (6997). Er sieht aus wie das Matterhorn, nur daß hier die Steilwand nach Süden zeigt – direkt zu uns, Luftlinie von Pokhara 30 Kilometer. Ich lege mich noch einmal hin, aber es hält mich nur noch eine halbe Stunde im Bett. Um 6:30 stehe ich auf, Rasieren und Duschen und um 7 Uhr bin ich unten im Frühstücksraum. Wir sind erst um 8 Uhr verabredet, jetzt ist hier noch niemand zu sehen. Ich gehe die Straße nach rechts und direkt runter an den Phewa-See. Ein uralter Einbaum liegt neben Ausflugs- und Ruderkähnen für Touristen. Wäsche wird im See gewaschen, Morgentoilette von Männern und Frauen. Am grasbewachsenen, flachen Ufer stehen kleine Häuschen: Es sind Pumpenhäuser. Von hier wird das Wasser in die 200 Meter hinter dem Strand stehenden 'Restaurants' und 'Hotels' gepumpt. Keiner weiß, ob und welche Filter dazwischen sind.

Gegen 7:30 bin ich zurück. Der Guide und der Porter warten schon auf mich. Wir frühstücken zusammen. Gegen 8:30 ist die gecharterte Taxe da, wir fahren zum Busbahnhof. 'Bahnhof' ist sehr geschmeichelt, nur wenige Busse fahren hier ab. Der Guide organisiert alles, der Porter verstaut mein Gepäck auf dem Dach des Busses. Ich gebe ihm noch einen Riemen, damit er den Rucksack auch richtig festzurren kann. Der Porter ist gutmütig, schweigsam und willig, aber nicht sehr geschickt. Bald ist der Bus so voll wie in Sumatra und weil er voll ist, fährt er los. Es ist genau 9 Uhr. Ich sitze rechts am Fenster, direkt über dem Auspuff. Krach, Dreck, ungefedert, uralt – aber er fährt. Eine interessante Fahrt, immer nach oben. Die Straße ist sehr gut, hervorragender Wasserbau ist hier realisiert. Sicher wäre sonst die Straße im Frühling und im Herbst, wenn der große Regen kommt, nicht mehr befahrbar. Serpentinen nach oben. Wir erreichen gegen 10:30 einen Paß, rechts immer noch manchmal der Machhapuchhare, schon in den Wolken, aber noch zu sehen. Dann fahren wir ähnliche Serpentinen wieder nach unten. Der Busfahrer scheint noch nie was von Motorbremse gehört zu haben. Der Motor wird geschont, die Bremsen nicht. Erstaunlich, daß das geht. Abhänge, hunderte Meter tief. Natürlich keine Leitplanken, aber hoffentlich ein Zweikreis-Bremssystem.

 

 

Gegen 11:30 erreichen wir Nayal Pul und steigen aus. Hier beginnt unter Trek. Gleich im ersten Dorf die ersten Bilder: Eine Muli-Karawane überholt uns. Es läuft sich sehr gut mit Minimalgepäck, der Porter hat es schwerer. Aber auf der Strecke sind viele Porter unterwegs. Waren aller Art werden so transportiert. Eine kranke Frau in einer Hängematte an einer Tragestange, Benzin und Heizöl, eine komplette Campingausrüstung einer 40-Mann-Gruppe aus England. Alles wird von Trägern oder Mulis geschleppt. Die Last beträgt in der Regel mindestens 20 Kilo, meistens 30, manchmal auch 40 Kilo. Ich sah, wie einer drei Rucksäcke, ein anderer vier Zelte schleppte. Große, hohe Gestelle voll mit Hühnern nach oben, solche mit Eiern wieder nach unten. Viel mehr aber geht hoch, als nach unten.

Viel weiter als bis Nayal Pul geht die Straße nicht. Es gibt nur Feldwege und auch dieser Ausdruck ist geschmeichelt. Große Felsbrocken liegen im Weg, Schotter, kaum Sand, dafür aber unendlich viele Treppenstufen. Kein Auto, kein Motorbike und kein Fahrrad kann hier fahren. Wie gut, daß wir die Richtung nach oben gewählt haben!! Der Agent wollte unbedingt die Gegenrichtung, das zu organisieren, war wohl leichter. Aber ich habe auf UP statt DOWN bestanden: Gott sei Dank !! Das war die beste Entscheidung, die man bei so einem Trek treffen kann, wenn man die Wahl hat (man sollte die umgekehrte Richtung nicht akzeptieren!). Wir laufen locker und in mäßigem Tempo und erreichen gegen 12:30 Birethanti. Hier esse ich als Lunch das erste Mal das legendäre Daal Bath (Reis und Linsen), das nepalesische Nationalgericht.

Jetzt ist Dinner Time, es ist 18 Uhr. Weiter danach.

 

Inzwischen ist es dunkel geworden. Hier gibt es kaum Elektrogeneratoren, die Energie kommt aus der Gasflasche oder vom Dach: Sonnenkollektoren für warmes Wasser. In der 'Gaststätte', die ähnlichen Komfort wie in Tenggol aufweist, steht eine Gasleuchte. Sie erleuchtet außerdem den Hof, wo noch Kinder spielen. Das zweistöckige 'Bettenhaus' hat in jedem Stockwerk 5 Kammern 2,5 x 3 Meter groß, in jeder stehen zwei Betten. Außer den Betten gibt es noch einen kleinen Tisch, der eher eine Bank ist, mit einer Kerze darauf. Alles ist aus Holz – wehe es brennt. Ein kleines, einfaches Fenster mit Sicht in die Berge, ein Vorhängeschloß davor, das ist alles. Kein Haken in der Bretterwand, kein Nagel. Aber auf der überdachten Galerie davor einige lange Leinen. Das ist die Lodge 'CHANDRA GUEST HOUSE' in Tirkhedhunga, in der wir heute übernachten.

Bei diesem Dinner habe ich gelernt, mit der rechten Hand – natürlich ohne Besteck – zu essen, so wie es die Nepalis tun. Natürlich geht das, in ganz Arabien ißt man so, es ist nur die Frage, ob es geschickt und effektiv ist. Das Essen mit Stäbchen gefällt mir deutlich besser – eine alte Kulturtechnik. Das Essen mit den blanken Fingern ist noch eine ältere Technik! Zum Dinner gab es Nepali-Tea (Wasser und Milch zum Kochen bringen, Tee und Zucker dazu, vielleicht auch etwas Butter: Vorzüglich!), Kartoffelsuppe, mixed fried rice, wenig Fleisch und wenig aber scharfes, eingelegtes Gemüse. Das kann man alles ganz gut mit den Fingern essen.

Auch zum Mittag haben wir in einer solchen Lodge gegessen. 15 Meter über einem reißenden Bergbach mit wirklich klarem Wasser. Die Sonne schien warm, rings herum hohe Berge, Bambus, Unterholz, Bäume mit riesigen roten Blüten, unten das tosende Wasser. Gegen 13:15 brachen wir wieder auf. Jetzt ging es nicht mehr gerade aus, jetzt ging es hoch. Höhenunterschied bis hier her vielleicht 300 Meter, höchstens 400. Aber ein ganz schöner Anstieg, ausschließlich über Steine oder Steintreppen. In der Regel ich vorne weg, weil sich nach mir das Tempo dieser Expedition richtet, dann der Guide und der Porter. Die beiden haben ein ganz normales Verhältnis miteinander, sie verstehen sich offensichtlich gut. Ein Porter ist hier nicht etwa der Sklave. Porter ist ein ganz normaler und geachteter Beruf.

Ich habe dem Guide gesagt was ich will: Ich liebe impressing views, bin sehr an handwerklicher Arbeit interessiert und will während des Laufens nicht reden und diskutieren. Außerdem habe ich in diesen 10 Tagen alle Zeit dieser Welt und keine Eile und will, so weit wie das überhaupt möglich ist, alleine mit der Natur sein. Der Guide redet gerne und viel, aber er akzeptierte, was ich will. Sie lassen mich in Ruhe, folgen mir aber im Abstand von fünf bis 10 Metern. 100 oder 500 Meter wären mir lieber, aber obwohl ich das mehrfach sage, funktioniert das nicht. Sie fühlen sich offensichtlich für mich voll verantwortlich und wollen möglichst jeden meiner Schritte überwachen. Ich habe keine Konditionsprobleme. Ich laufe nicht so schnell, daß der Puls rast, aber ich komme schon ein bißchen ins Schwitzen. 20 Minuten vor dem Ziel machen wir eine Viertelstunde Pause, der Träger hat sie nötig, er schwitzt mehr als ich. Es sind 26 Grad Lufttemperatur, kaum Wind, es ist nicht schwül, es ist angenehm.

 

 

Um 15:30 kommen wir hier an. Ich lasse mich vor einem Schild fotografieren: 'Sun powered shower !!' und zehn Minuten später stehe ich mit Wonne darunter. Herrlich! Wie in Maninjau nach dem ersten Dschungeltrip: Die Dusche ist das schönste, was es danach gibt! In meiner Kammer, wo ich durch die losen Bretterwände einen Japaner beobachten kann, der sich völlig erschossen auf die Bretterliege schmeißt, lege ich mich auch eine halbe Stunde hin. Herrlich, aber ich bin nicht kaputt, absolut keine Überanstrengung. Nach der Ruhepause erkunde ich die Umgebung und gucke bei der Campingtruppe vorbei, für die hier in der Nähe auch das Lager aufgebaut wurde. Auch das geht, aber die Gruppe wäre mir viel zu groß. Alles Leute in meinem Alter, nur wenige sind jünger. Dann fange ich an zu schreiben, bis zum Dinner gerufen wird. Jetzt ist es bald 20 Uhr und die japanische Gruppe (6 Leute) amüsiert sich laut beim Kartenspielen.

Senkrecht über dem Hof steht der Mond. Helle Flecken haben die Wolken, es ist fast ganz bedeckt, aber offensichtlich ist die Wolkendecke nur dünn. Ich gucke noch mal auf meinen Spickzettel: Gestern habe ich eine heroische Entscheidung getroffen: Es gab den neuesten SPIEGEL in Pokhara zu kaufen – ich habe verzichtet. Nicht, weil er sehr teuer war (9 US$), sondern weil mir wenigstens auf dieser Tour für mich das Leben in Europa völlig unwichtig und uninteressant ist. Aus dem gleichen Grund habe ich auch das Radio in Kathmandu gelassen. Ich suche Abstand von der kleinkarierten, politischen Realität. Mich interessiert die Natur mit ihrer faszinierenden Gleichgültigkeit, unseren menschlichen Problemen gegenüber.

Vom Bus aus habe ich fünfjährige Schulmädchen gesehen: Schuluniform in schwarz und rot, schwarze Haare, zwei knallrote Schleifen stehen senkrecht nach oben. Vier kleine, gleich aussehende Mädchen, die Omas brachten sie zum Bus und mit ihm fuhren sie zur Schule. Assoziationen zu den Bäumen ohne Blätter mit den riesigen, tollen, roten Blüten.

Alle Nepalis, die ich vom Bus aus sah, laufen langsam, stehen oder sitzen. Nicht einer, der im Sturmschritt irgendwo hin rannte. Die Leute haben Zeit. Sie nehmen sich Zeit und sie wirken sehr gelassen. Sie sind sehr ordentlich. Solche sorgfältig aus spaltbaren Steinen gebauten Häuser könnten in Deutschland stehen. Die Steine sind ganz exakt behauen, sehr sorgfältig verfugt, Steinplatten als Dachabdeckung. Und überall sieht man jemanden mit einem Besen fegen: Es wird zwar mehr Staub aufgewirbelt als weggefegt (das hätte meine Mutter auch gesagt ...), aber alles ist wirklich sehr sauber. Ganz das Gegenteil von Hanoi.

Vom Bus aus sah ich, wie Maschendraht von Hand geflochten wurde. Nie hätte ich geglaubt, daß man so etwas manuell machen kann!

Ich habe einen leichten Heuschnupfen – Nase, Hals, Augen – Ausgelöst am Montag durch den Staub in Kathmandu. Ich hoffe, hier wird es bald besser werden. Jetzt ist Schluß, ich bin satt, nicht kaputt, nicht müde, aber ich gehe in meine Kammer, da ist (hoffentlich) Ruhe. Hier, bei der einzigen Lampe, wird mir zuviel geschwatzt und gelacht (auf japanisch).

Bye bye – till tomorrow!

19.03.1997, 20:20, Tirkhedhunga

 

 

 

 

 

 

 

STEIL BERGAUF
UND RHODODENDRON

20. März 1997, Donnerstag, Ghorapani

 

 

Seit 2 ½ Stunden sind wir jetzt (16:45) im Moonlight Hotel von Ghorapani. Ich habe gleich nach der Ankunft die 24-Stunden-Sonnen-Energie-Heiß-Wasser-Dusche benutzt. Es waren keine 5 Grad, sondern 15 bis 18, aber trotzdem hart für mich und nur verschwitzt zu ertragen. Dann bin ich (nackt) in meinen herrlichen Schlafsack gekrochen: Eine Stunde Ruhe. Ich wache auf, weil die Füße und die Hände kalt sind. Im Zimmer 14 Grad, draußen 11. Mein Digitalthermometer habe ich immer am Mann. Der Heuschnupfen ist noch nicht in Ordnung. Gestern war es schlimmer. Der Hals tut weh, ich krächze wie ein Rabe, aber morgen ist es besser. Im Schlafsack brauche ich nur was anzuziehen und es ist warm - aber nach zwei Stunden hält man es nicht mehr aus, weil es zu heiß ist!

Heute bin ich schon gegen 4:40 aufgestanden, weil ich um 21 Uhr schon im Schlafsack gelegen habe. Kein Problem. Aber vom Schlafsack aus sah ich die Sterne – da konnte ich nicht länger liegen bleiben! Ich gehe ca. 150 Meter (mit Taschenlampe: Ganz wichtig!) vor die Siedlung, die nur aus ein paar Häusern besteht. Alles ist dunkel. Träger kommen vom Berg mit Taschenlampen herunter. Sie wollen wohl die Mulis aufsatteln. Sternenhimmel und Wolken. Ich erkenne am Himmel nichts wieder – beschämend für einen Hobbyastronomen. Es ist alles neu an dieser Stelle der Welt und um diese Zeit. Ich habe Sternenkarten für 5 Uhr mit, aber die habe ich jetzt nicht dabei. Ich gehe noch weitere 250 Meter, hier ist nur noch Natur, kein Licht, kein Morgenschimmer und jetzt: Der große Wagen! Deichsel nach oben, der Wagen war hinter einem Berg. Langsam sieht man im Osten, daß der Kontrast der Profillinie der Berge größer wird. Das ist nur ein kurzer Moment, dann geht es schneller. Gegen 5:15 sind kaum noch Sterne zu sehen. Ich gehe wieder zurück und lege mich wieder in den schönen, warmen Schlafsack. Um 6:30 stehe ich auf, Zähne putzen, Rasieren, Katzenwäsche. Frühstück ist gegen 7:30, ich warte auf den Guide, gegen 7 Uhr waren wir verabredet, der Porter ist da.

 

 

Um 8:15 ist Aufbruch. Es kommt eine anstrengende Strecke, immer bergauf. Immer an der Flanke des Berges nach oben, der 2607 Meter hoch ist. Nur Treppen!! Steinhaufen, eine Hütte mir einer großen Familie und Terrassenfeldern in diesem kargen Gelände. Ich fange an zu rechnen und zu zählen: Mein Puls soll nicht mehr als 120/min schlagen. Das ist als Dauerleistung das Maximum, was ich ohne größere Mühe schaffe. Bei dieser Pulszahl gehe ich 60 Stufen pro Minute nach oben. Das ergibt ca. 7 Meter Höhendifferenz pro Minute. Das kommt mir als Dauerleistung für mich unheimlich viel vor, das ist es auch. Ich kann diese Leistung nicht 5 Stunden hintereinander ohne Pause erbringen. Wieviel Watt sind das bei ca. 63 bis 65 Kilo? Der Herr Ingenieur hat die Formel nicht parat – mit Scharno wäre das nicht passiert. { In Halle setzen wir uns am 17.04.1997 hin und rechnen es mal aus: Das entspricht einer Leistung von ca. 75 Watt. Ein gesunder, junger Mensch schafft 100 Watt als Dauerleistung ohne Probleme.} Aber an der Tagesleistung kann man erkennen, daß dieser Wert plus/minus 10% stimmt, denn heute haben wir einen Anstieg von 1.300 Metern bewältigt. Für einen alten Mann eigentlich zu viel. Aber außer mit dem Hals habe ich keine Probleme. Bergab wäre es schlimmer gewesen, dann spüre ich rechts mein Knie. Es tut nicht weh, aber ich merke, daß ich da ein Knie habe. Die Sandalen sind hervorragend, auch, daß der Porter den Rucksack schleppt, ist unbezahlbar. Wenn ich den tragen sollte, würde ich trotz High-Tech-Backpack auf der Strecke bleiben. Mein kleiner Rucksack – Conny hat den gleichen – ist sehr gut. Mehr als eine Wasserflasche, ISO-Matte, Pullover, Schal, Sonnenbrille, Foto, Notverpflegung, Nagelset und Notmedizin ist da nicht drin: Höchstens zwei Kilo.

Auf dieser Strecke war viel Verkehr: Die Träger mit der Campingausrüstung sind offensichtlich früher gestartet, als wir. Jetzt überholen wir sie. Gegen 10:30 haben wir das schlimmste Stück geschafft. Es gibt einen Tee in einer Lodge. Dann geht es weiter. Wir sind schneller, als es der Guide geplant hat, um diese Zeit wollen wir eigentlich unseren Lunch nehmen. Gegen 12 Uhr sind wir in Nangethanti und es gibt Zwiebelsuppe und Momo (Fleischbällchen mit einer Teighülle). Sehr gut.

Wir sitzen eine Stunde in der Sonne auf einer schönen Veranda. Dann gehen wir noch einmal 5/4 Stunden durch ein waldiges Gelände leicht nach oben und schon sind wir hier. Jetzt sitze ich im 'Restaurant' des Moonlight Hotels. Die Augen tränen, die Nase läuft. Links ein toller Blick, der Annapurna South ist gut zu sehen, er ist immer mal mehr oder weniger in den Wolken. Morgen bei Sonnenaufgang werden wir auf dem Poon Hill (3210) sein. Ein tolles Panorama erwartet uns, wenn der Himmel klar ist. Auch jetzt schon ist das Panorama berauschend: Viele weiße Berge, viele Wolken, blauer Himmel, dazwischen Schneegipfel und Schneewände.

Gestern waren es noch 26 Grad, spätestens ab Nangethanti aber merkte man, daß es kälter wurde, trotz Sonne. Ich guckte auf das Thermometer: Es waren 14 Grad, kein Wind, bewölkt, Sonne nur manchmal.

 

 

Es geht leicht bergauf, überall sieht man Regenwald mit vielen Orchideen (nur einzelne blühen um diese Zeit). Große Rhododendronbäume (!), voller Blüten, alles rot und die Baumstämme dick mit Moos, Orchideen, Luftwurzeln und Lianen behangen. Rechts unten ist immer ein Fluß zu hören. Die Schlucht ist sehr tief und sehr steil und mit diesem dichten Rhododendron-Regenwald bewachsen. Selten kommt man direkt an das Wasser ran: Es ist ganz klar und eiskalt, sicher kann man es trinken. Aber ich fülle meine Trinkflasche auch heute wieder mit Mineralwasser aus der Plastikflasche: Sicher ist sicher. Ein verkorkster Magen, ein falscher Tritt und dieser tolle Urlaub ist vorbei und wir haben ein großes Problem! Deshalb bin ich hier viel vorsichtiger als auf der Tour mit Stefan – außerdem habe ich ja Cati und Conny versprochen, an meine Grenzen zu denken.

 

 

Bald ist Dinnertime, eine große Gruppe Traveller (international) sitzt um den Ofen hier in diesem Raum (6 x 4 Meter) herum und schwatzen. Mein Guide ist dabei und mit dem Mund immer vorne weg!

20.03.1997, 17:25, Hotel Moonlight, Ghorapani

 

 

 

 

 

 

 

SONNENAUFGANG
AM POON HILL

21. März 1997, Freitag, Tatopani

 

 

Heute war der Tag mit pausenlosen impressive views !! Es fing schon früh an: Aufstehen um 4:45 und ¼ Stunde später Aufbruch mit Taschenlampe auf den Poon Hill (3194). Es war schrecklich anstrengend. Die Temperatur lag unter plus drei Grad und oben auf dem Berg waren es ca. minus ein bis zwei Grad. Am Abend hatte ich richtige Probleme: Ich habe gefroren wie verrückt. Ist das die Höhenkrankheit, wohl kaum. Viel eher war der Sun powered Shower viel zu kalt. Aber deshalb hatte ich mir am Morgen, obwohl ich inzwischen warm geworden war, viel zu viel angezogen. Außerdem hatte ich mir noch die Daunenjacke von Bishnu aufdrängen lassen und meine Bergstiefel das erste Mal angezogen. Damit war dann in kürzester Zeit ein Aufstieg von rund 300 Metern Höhendifferenz zu absolvieren. Dazu noch die Dunkelheit: Trotz Taschenlampe läuft man im Dunkeln wesentlich unsicherer als bei Sonnenschein.

Aber oben war alle Mühsal vergessen. Es gab einen heißen Kaffee (50 Rp.) und eine wahnsinnige Aussicht auf die Berge rechts und links des tiefsten Einbruchstales der Welt (Kali Gandaki), in dem wir in den nächsten Tagen hoch laufen werden. Es war am Anfang (gegen 5:30) hier oben noch recht dunkel, aber man konnte schon ahnen, was hier zu sehen sein wird.

 

 

 

Mit zunehmendem Licht wurde die Sicht besser und nach dem Sonnenaufgang gegen 6:15 wurden die Bergspitzen rot und gelb beleuchtet und es präsentierte sich ein ganz irres Panorama: Fotos können das nicht zeigen, obwohl ich heute wohl 60 Bilder von diesen Bergen gemacht habe. So etwas kann man nur erleben: Links das Massiv des Dhaulagiri und rechts die Berge des Annapurna. Beide Gipfelreihen im frühen Sonnenlicht, manchmal von Wolken teilweise verdeckt. Ein unbeschreiblicher Rundblick von ca. 200 Grad inklusive Sonnenaufgang. Das ist mit Worten nicht zu beschreiben. Schon technisch bekommt man das nicht auf ein Bild.

 

 

Wir steigen um 7 Uhr wieder runter, es gibt Frühstück und wir starten gegen 8:30 nach Tatopani, immer diese Berge vor der Nase. Immer so weiß, weißer geht es nicht, gegen den blauen Himmel. Rhododendronbäume voller Blüten, kleine Dörfer mit ruhigen und gelassenen Menschen. Einfach schön.

Im Gegensatz zu gestern ging es heute nur bergab. Wahrscheinlich von Ghorapani aus mindestens 1000 Meter nach unten. Kaum, daß es mal eine 10-Meter-Steigung gab. Nur runter in dieses tiefe Tal des Kali Ganda, ein reißender Bergfluß. Jetzt führt er wenig Wasser, aber an den Felsbrocken in seinem Bett, an den Schuttmassen und den hohen Flußwänden kann man ahnen, was hier in zwei bis drei Monaten los sein wird!

Auch runter hatte ich heute keine Probleme, die Knie und die Füße haben hervorragend mitgemacht. Das ist zuallererst den wirklich unbezahlbaren Sandalen zu verdanken, die schon in Sumatra und Malaysia mit von der Partie waren: Gerade heute habe ich gemerkt, wie hart die Bergstiefel im Vergleich dazu sind. Die Sandalen haben unter der Ferse eine Luftfeder eingebaut. Am Anfang dachte ich, das wäre Spielerei. Aber es hat den tollen Effekt, daß man nicht so hart auftritt. Die Stöße auf die Wirbelsäule werden ganz deutlich verringert. Besonders bei den ca. 8000 Treppenstufen (!), die ich heute runter gestiegen bin – bei jeder einzelnen merkt man es.

Viel Staub gab es heute auch: Es muß Glimmer o.ä. gewesen sein. Dabei habe ich für Conny einen schönen solchen glitzernden Stein aufgesammelt. Glimmer führt zu extremen Bergrutschen in der Regenzeit und jetzt zu einer 30 mm dicken Staubschicht auf den Wegen. Mein Heuschnupfen ist trotzdem besser!

 

 

Hier sind wir gegen 15:30 angekommen. Nachdem das Gepäck auf dem Zimmer deponiert war, stieg ich in die heiße Quelle direkt am Fluß – ca. 35 bis 40 Grad, sehr heiß aber ein unschätzbares Vergnügen in einer kalten Gegend mit vermeintlichen Sun powered Showers. Vorher wusch ich alle meine dreckigen Socken in warmem Wasser. Guide und Porter sahen zu, wie ich in der Unterhose ins Wasser stieg. Sie machten aber nicht mit, wahrscheinlich hatte ihr Gott etwas dagegen. Das hielt sie aber nicht davon ab, die englischen, deutschen und einheimischen Frauen sehr aufmerksam beim baden zu beobachten.

Anschließend kaufte ich mir – seltener Fall – ein Tuborg-Bier, ich hatte einen richtigen Heißhunger darauf. Aber nach der halben Flasche war diese Gier gestillt, den Rest trinken Porter und Guide, während ich zum Abendbrot esse: Pilze, Kartoffelbrei und zwei Nepali-Tea. Gegenüber auf dem steilen Hang des Tales brennt plötzlich das Unterholz. Ein faszinierendes Schauspiel in der Dunkelheit. Ich mache noch einen Spaziergang durch das langgestreckte Dorf. Viele Touristen sind hier, das scheint eine der wichtigsten Einnahmequellen zu sein. Vorher habe ich zwei Schals gekauft, einer auf der Straße life handgewebt (150 Rp.) einer aus Kaschmir (250 Rp.).

Jetzt bin ich müde und gehe in meiner Holzkammer ins Bett. Es ist 23 Grad warm (!) und der Fluß rauscht wie eine Meeresbrandung.

21.03.1997, 19:50, Namaste Lodge, Tatopani

 

 

 

Jürgen Albrecht
Leipziger Strasse 47/16.03
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